Berlinale-Filmkritik: „Pardé“ von Jafar Panahi


"Pardé": Einer Art "Kopfkino" das reich an selbstreferentieller Symbolik ist. Foto: Berlinale

"Pardé": Einer Art "Kopfkino" das reich an selbstreferentieller Symbolik ist. Foto: Berlinale

Das Werk eines unbeugsamen Mannes

2008 verhängte die iranische Regierung gegen Regisseur Jafar Panahi ein  20-jähriges Berufs- und Ausreiseverbot. Panahis Filme und seine Unterstützung für Oppositionspolitiker Mussawi ist den Despoten im Land ein Dorn im Auge. Fünf Jahre, in denen der Filmemacher dem Regime weiter die Stirn bot. Mit „This is not a film“ glückte ihm 2011 schon das scheinbar Unmögliche. Auf einem in einem Kuchen versteckten USB-Stick gelang es seinen neuen Film nach Cannes zu schmuggeln und einzureichen. Dass es nun nach weiteren zwei Jahren erneut einen Film gibt, ist eine Sensation, die lange im Fokus der internationalen und nationalen Presse der diesjährigen Berlinale stand. Wie der Film die Berlinale allerdings erreichen konnte, wurde auch auf der Pressekonferenz nicht beantwortet, aus verständlichen Gründen.

Der Film erzählt von einem Mann, der als Hundebesitzer und Schriftsteller auf der Flucht ist und sich in einem verlassenen Haus am Meer versteckt hält. Da Hunde als unsaubere Tiere gelten, ist es unter Strafandrohung verboten sich einen Hund zu halten. Wie zum Beweis zeigen die Fernseher in der Villa Bilder von abgeschlachteten Straßenhunden (Originalaufnahmen und Archivmaterial). Um sich nach außen zu schützen, verhängt der Mann die Fenster mit schwarzen Vorhängen, durch die auch nachts kein Licht nach außen dringen kann.

In mehrfacher Hinsicht haben diese Vorhänge symbolischen Wert. Als Versinnbildlichung des Übergangs zwischen einer Innen- und Außenwelt deuten sie primär den Ausschluss von der Öffentlichkeit an. Ein weggesperrter und unsichtbarer Regisseur oder Schriftsteller kann besser mundtot gemacht werden. Doch gleichzeitig bieten die Vorhänge Schutz und verstellen denen, die gefährlich werden könnten, den Blick auf einen inneren Protest oder absurde Gesetzlosigkeiten und geben darüber hinaus den Blick frei auf ein Innenleben, Panahis Gedanken.

In dieses Refugium und Gefängnis dringt schon nach kurzer Zeit eine junge Frau ein. Auch sie ist auf der Flucht. Sie ist der plötzlich und wie aus dem Nichts auftretende Eindringling, der den Schriftsteller daran hindert, zu arbeiten, seine Gedanken und Emotionen beherrscht und kontrolliert. Sie ist die unberechenbare Kraft, ein Engel und Dämon zwischen Angst, Melancholie und Depression. Sie kommt und geht, führt auf emotionale Auf- und Abwege.

Pardé“ ist das Werk eines unbeugsamen Mannes, der nicht kampflos aufgibt, sondern seiner Berufung folgt, auch wenn er mit den Umständen hadert, von Selbstmordgedanken geplagt und Depressionen verfolgt wird. Erneut bleibt Panahi nur die Möglichkeit einen Film über sich und seine Gedanken zu machen. Und wieder verfilmt er einen inneren Monolog. In einer Art „Kopfkino“ – das reich an selbstreferentieller Symbolik ist – kehrt er diesmal sprichwörtlich sein Innerstes nach außen und personifiziert seine Gedanken, Ängste und Dämonen in einem Schriftsteller (Kambozyia Partovi, der gleichzeitig als Co-Regisseur fungierte) und einer depressiven und suizidgefährdeten Frau (Maryam Moghadam). Selbstredend, dass der Schriftsteller Panahis rationales und kreatives Ich symbolisiert und die Frau sein emotionales Ich verkörpert. Es ist die Geschichte seines quälenden Alltags und des Kampfes gegen unberechenbare innere Mächte und plötzlich auftretende Depressionen, die ihn an der Arbeit hindern und zu Suizidgedanken verführen.  Film und die Arbeit daran werden zu einer Art Lebensretter, die ihn aus der Isolation heraus und ins Leben zurückholen. Sie helfen innere Dämonen zu vertreiben, aufzubegehren und mit der Welt in Kontakt zu bleiben.

SuT