Berlinale Filmkritik: „Que ta joie demeure“ von Denis Côté


Que ta joie demeure

Wie schaut der Mensch auf die Arbeit?: Foto Berlinale

Arbeit und Struktur

Auf der ersten Seite des Notizblockes sind der Reihe nach einzelne Worte vermerkt: walzen, schneiden, stampfen, hämmern, verpacken. Darunter angeordnet: Rhythmus, Ordnung, Genauigkeit, Wiederholung, Ewigkeit. Und gleich danach  – Zeit. Die spielt in „Que ta joie demeure“ von Denis Côté eine beträchtliche Rolle, denn der kanadische Regisseur fängt in seinen Bildern die zugleich offensichtliche wie verdeckte Monotonie des Fabrikalltags und der Lohnarbeit in Werkstätten ein. Die Kamera hält die einzelnen Prozesse und Abläufe gefühlte Ewigkeiten fest. Es entstehen Leerstellen, Räume, die Platz für Fragen schaffen. Was genau beobachtet die Kamera? Was wird dokumentiert? Eine Gesellschaftsschicht? Eine Produktionsform? Oder ganz grundsätzlich: Was bedeutet Arbeit? Kann oder muss Arbeit überhaupt sinnstiftend sein?

Man kann „Que ta joie demeure“ als einen einzigen Fluss an Fragestellungen betrachten. Die Bilder geben dafür, ganz ähnlich wie in Côtés Tierfilm „Bestiaire„, keine klaren Antworten. Dagegen sind diese Aufnahmen in ihrer Struktur sehr klar. Die Kamera zeichnet auf, transportiert die Bewegungen der Mechanik – bewegt sich aber selten selbst. So könnte dieser Film eine einzige Abfolge von Bildern einer Studie über die Langeweile sein. Gruppierten sich in „Bestiaire“ Beobachtungen der Tierwelt um die Frage „Wie schaut der Mensch auf das Kreatur?“, ist die Fragestellung in „Que ta joie demeure“ eine ganz ähnliche: Wie schaut der Mensch auf die Arbeit  – und auf einen Prozess, der sein Leben zu einem Großteil in Anspruch nimmt.

Arbeit ist natürlich nicht denkbar ohne das Subjekt und so fügt Côté seinen Aufnahmen Personen hinzu, die Sorgen, Nöte und Verhältnisse ausdrücken. Und auch hier tauchen Fragen nach Ordnung und Struktur, Erleben, Idealen und Bedingungen auf. Wie Figuren in einem Diorama fügt er statische Persönlichkeiten hinzu, die sich in ihrem Spielraum bewegen und bis auf wenige Unterhaltungen nur selten zueinander verhalten. Was sagt die Maschine in diesem Moment über den Menschen aus?

Das Fehlen einer moralischen Plattform ist die Stärke von „Que ta joie demeure„. Die Entscheidung, dem Verhältnis von Ding und Individuum eine Sinnebene zu geben, überlässt Côté allein dem Betrachter. Er kann in den Bildern reine Schönheit, einen Abgleich mit sich selbst oder ein gekünsteltes Nichts entdecken. Und selbst auf die Frage, ob „Que ta joie demeure“ nun eine Dokumentation, ein Experimentalfilm oder vielleicht doch nur ein fiktionales Schauspiel ist, gibt Côté keine Antwort.

Martin Daßinnies