Berlinale-Filmkritik: „Stratos“ von Yannis Economides


Stratos (Vangelis Mourikis), der vielleicht einzig anständig Charakter des Films. (c) Berlinale

Stratos (Vangelis Mourikis), der vielleicht einzig anständig Charakter des Films. (c) Berlinale

Die Schönheit des Niedergangs

Für die Kunst ist der Verfall ein ganz besonderes Geschenk. Es ist immer wieder überraschend, welch wunderbare Schönheit im Niedergang steckt. Wenn die Natur einen verspäteten Sieg über die Stadt erringt, sich im Verbund mit der Zeit ihren angestammten Platz auf der Erde zurückholt. Da werden aus Spielplätzen moosbewachsene Ruinen, aus sterilen Springbrunnen milchig-graue Tümpel und aus Busdepots Kleintierbehausungen. Selbst Stratos (Vangelis Mourikis), dem Protagonisten des gleichnamigen Filmdramas, steht der Verfall in die tief hängenden Augenringe geschrieben.

Doch Regisseur Yannis Economides hat keineswegs vor, sich mit Äußerlichkeiten zu beschäftigen. Die tristen Kulissen bieten nur den angemessenen Rahmen für eine Geschichte, die von einem viel schwerwiegenderen Missstand erzählt: Dem moralischen Verfall einer Gesellschaft. In Economides‘ Griechenland herrschen Egoismus, Betrug, Verrat und Gewalt. Es ist weit gekommen in der Wiege Europas, wenn der gefühlskalte Profikiller Stratos als moralische Instanz auftreten muss.

Ein guter Mensch ist er sicher nicht. Seinem Handwerk geht er nach, ohne Fragen zu stellen, ohne sich mit Gewissensbissen zu plagen. Den finanziellen Niedergang eines befreundeten Geschwisterpaars, der bis in die Prostitution führt, nimmt er achselzuckend hin. Doch immerhin: Stratos steht seinem im Gefängnis versauernden Kumpel Leonidas treu zur Seite, finanziert dessen Ausbruchspläne. Er kümmert sich fürsorglich um das vernachlässigte Nachbarsmädchen. Traurig aber wahr: Das qualifiziert Stratos tatsächlich zum anständigsten Charakter des Films.

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