„The Kidnapping of Michel Houellebecq“ von Guillaume Nicloux
Ein Spiel mit der Realität – oder die Realität als Spiel
Anlass für „The Kidnapping of Michel Houellebecq“ könnte ein tatsächliches Verschwinden des Starautors im September 2011 sein. Kein Literat polarisiert auch nur annähernd so sehr, wie Houellebecq, bei dessen öffentlichem Auftreten die stetige Provokation sein treuer Begleiter ist. Ein Umstand der ganz sicher dazu beitrug, dass schon bald abstruseste Theorien über mögliche Vorkommnisse durch die Welt geisterten. Doch irgendwann tauchte Houellebecq wieder auf, verzichtete aber auf Erklärungen.
Es passt zu Houellebecq und seinem Schaffen, dass er ein solches Mysterium um ihn nicht ungenutzt lässt. Es würde nicht zu seiner Strategie passen, seine Absenz zu erklären. Skandale sorgen für Aufmerksamkeit. Die dürfte ihn amüsiert haben. Warum sonst sollte er das Rätsel mit Hilfe von Guillaume Nicloux (mit „Die Nonne“ im Wettbewerb der Berlinale 2013), mit dem er 2012 schon bei dessen Fernsehfilm „L’affaire Gordji, histoire d’une cohabitation“ zusammenarbeitete, in „The Kidnapping of Michel Houellebecq“ aufgreifen. Der Clou der filmischen Umsetzung: Houellebecq lässt es sich nicht nehmen und spielt den fiktionalen Houellebecq, der der wahre sein könnte, gleich höchstpersönlich.
Im Kontext von Houellebecqs bisherigem Schaffen ist das nur konsequent. Damit dekonstruiert der Skandalautor seine Figur im Film, wie er es mit den nach sich selbst benannten Figuren seiner Romandramen genüsslich vormacht. Es entsteht ein kluges, pointenreiches Zerrbild einer Entführung – und seiner selbst. Einen strahlenden Houellebecq-Helden wird diese Welt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben. Nachdem er sein Alter-Ego in „Karte und Gebiet“ brutal abschlachten ließ, lässt sich der Autor nun durch Niclouxs kleine Bande entführen, aber nicht wirklich aus seinem Alltag reißen.