14 Films: „Neon Bull“ (OT:“Boi Neon“) von Gabriel Mascaro
„Boi Neon“ hätte leicht ein melodramatisches Porträt des ländlichen Brasiliens werden können, dominiert von einem Mitleid erregenden und bekümmerten Unterton. Doch dazu lässt es Mascaro nicht kommen. Ungeachtet seiner jungen Regisseurskarriere, sind vor allem Mascaros Fähigkeiten hinter der Kamera und als Geschichtenerzähler außergewöhnlich. Iremars Märchen baut darauf, eine gewisse Schwermut zu provozieren, doch die dekonstruiert Mascaro immer wieder bewusst in zarter und ikonischer Weise. Denn es geht ihm nicht darum, Mitleid mit Iremars Situation zu suchen. Er fühlt sich weder in einem unakzeptierten Körper gefangen, noch ist es ihm besonders unangenehm seine von der Gesellschaft zugewiesene Rolle zu spielen.
Eine der unvergesslichsten Szenen im Film zeigt Iremar, wie er sich eins von Zens Pornomagazinen greift und auf dem Körper einer nackten Frau herummalt. Die Kamera fängt ein, wie er offenbar der Frau eine Art schlichte Unterwäsche verpasst. Dem Zuschauer wird glauben gemacht, Iremar würde aus Prüderie versuchen die Genitalien der Frau zu bedecken. Doch als nur einige Sekunden später die Kamera wieder auf das Bild zurückschwenkt, zeigt sich, dass sich die Zeichnung in ein überaus freizügiges Outfit verwandelt hat, das kaum Raum für Spekulationen lässt. Iremars zwei Seiten und die der anderen existieren schlicht und einfach gleichrangig nebeneinander. Und das ist wohl auch die Kernbotschaft dieses bemerkenswerten Films: Die eigene und jedermanns Vielschichtigkeit zu akzeptieren, bedeutet am Ende auch, die natürlichen menschlichen Widersprüche wertzuschätzen.
Viele Filme erzählen von in feindlichen Umgebungen gefangenen Menschen und ihrer oft erfolglosen Flucht daraus. Darunter sind viele, die dieser eingeschränkten Welt noch eine Geschlechterdimension hinzufügen. Aber nur wenige schaffen dabei diese Mischung aus Ironie und Zärtlichkeit, mit der Gabriel Mascaro seinen Film „Boi Neon“ malt. Sein Name ist eine schöne und bereichernde Entdeckung für Lateinamerika wie für das Weltkino im Allgemeinen.
Leonardo Goi
(Übersetzung aus dem Englischen SuT)
„Neon Bull“ (OT:“Boi Neon„), Regie: Gabriel Mascaro, DarstellerInnen: Maeve Jinkings, Juliano Cazarré, Josinaldo Alves, Roberto Berindelli