„Das Mädchen aus dem Norden“ von Amanda Kernell


Filmplakat_Das_M+ñdchen_aus_dem_NordenDieses dunkle Kapitel schwedischer und europäischer Geschichte liefert genügend Stoff für Leinwanddramen. Doch die Regisseurin Amanda Kernell erliegt nicht der Versuchung, die Sámi-Community als exotisches Naturvolk zu verklären, das sich der Zivilisation entzieht: Schamanen und Riten gibt es hier nicht zu sehen (auch wenn Kleidung und Gesang eine große Rolle spielen). Stattdessen fokussiert Kernell mit Elle Marja eine glaubhafte Protagonistin aus der Sámi-Gemeinschaft, die sich partout nicht unterordnen will – nicht der Tradition der Rentierzucht und nicht der niedrigen Erwartungshaltung der schwedischen Gesellschaft der 1930er Jahre. Und zeigt sie dabei als vielschichtige Abenteuerin, der die Natur ebenso wichtig ist wie das Lesen und Lernen. Als im Internat (einer unbarmherzigen Nomadenschule) beim Tanztee durch Niklas aus Uppsala (Julius Fleischanderl) die Möglichkeit einer Projektion entsteht, ergreift sie sie sofort und will sie um keinen Preis mehr loslassen.

Lene Cecilia Sparrok verkörpert diese Elle Marja, die immer mit den Dingen um sie herum haptisch und sinnlich verbunden scheint. Die an dem Kleid der Lehrerin riecht, deren Namen sie klauen wird, die den nackten Körper von Niklas betastet. Sie spielt ihre Zerrissenheit, ihre Verletzung und ihren Selbsthass fulminant. Dank ihrer Präsenz verzeiht man der sentimentalen Rahmenhandlung, in der die alte, einsame Elle Marja (Maj-Doris Rimpi) zur Beerdigung ihrer Schwester fährt, einige Logikfehler und die stereotypischen Schweden, die zum Großteil völlig nuancenfrei dumm und böse in die Gegend schauen. Der Zuschauer verzeiht dem Film sogar, dass er das Leben und die Wünsche der jungen Elle Marja, mit der man die ganze Zeit mitfiebert, am Ende absolut in Frage stellt. Am stärksten ist „Das Mädchen aus dem Norden“ genau dort, wo Elle Marja ihren Weg allen Widrigkeiten zum Trotz sucht. Dort, wo Identität eben nicht als gelungener Balanceakt zwischen Kulturen einerseits und der Rückkehr zum familiären Stamm andererseits inszeniert wird, sondern als schmerzhafte Wunde, die man sich selbst beifügt, nicht die anderen mit dem Jagdmesser.

Marie Ketzscher

Das Mädchen aus dem Norden„, Regie: Amanda Kernell, DarstellerInnen: Lene Cecilia Sparrok, Hanna Alström; Kinostart: 5. April 2018

1 2