Fantasy Filmfest-Kritik: „Replicas“ von Jeremy Power Regimbal
Schein der Schmerzen
Der Schmerz, den der Tod einer geliebten Person auslöst, ist unbeschreiblich. Bei älteren Menschen bleibt zumindest der Trost, dass ein langes und hoffentlich erfülltes Leben hinter ihnen liegt – und dass wir schließlich alle irgendwann mal gehen müssen. Umso härter trifft es diejenigen, die den Tod des eigenen Kindes verkraften müssen. Geradezu unnatürlich muss es einem vorkommen, hat man doch ein Individuum in die Welt gesetzt, das dazu bestimmt war, länger als man selbst dort zu verweilen.
In dem Film „Replicas“ gehört das Ehepaar Mary (Selma Blair) und Mark (Joshua Close) zu den Menschen, die mit so einem Schicksalsschlag leben müssen. Seitdem ihre Tochter Tess bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, scheint alles nur noch trist und karg. So auch der gemeinsame Urlaub mit ihrem Sohn Brendon in einem Ferienhaus in den Wäldern. Gemächlich schiebt sich der Familienkombi durch die grau-verschneite Landschaft, während seine Insassen noch nicht ahnen, dass eine weitere Familientragödie unmittelbar bevorsteht. „Replicas“ porträtiert keine trauernde Familie, sondern apathische Zombies, die innerlich selbst fast schon tot sind. Der Schock und die Ohnmacht über ihren Verlust stehen ihnen immer noch ins Gesicht geschrieben und Mary sieht mit ihrer fahlen Gesichtsfarbe und ihren schwarzen Kajal-Trauerringen aus, als hätte sie jahrelang nicht geschlafen.
Viel Schlaf sollen sie auch in ihrer ersten Nacht im Ferienhaus nicht bekommen, denn schon früh am Morgen werden sie von ihren aufdringlichen Nachbarn geweckt, die sich prompt bei ihnen zum Abendessen einladen. Bobby, Jane und ihr gemeinsamer Sohn Jared sehen ihren unfreiwilligen Gastgebern erschreckend ähnlich. Doch damit nicht genug: Als verarmte Familie wollen sie das Leben ihrer wohlhabenden Nachbarn stehlen. Dass selbst Waffengewalt dabei kein Hindernis ist, wird klar, wenn als erstes der geliebte Familienhund einfach abgeknallt wird.
Während viele Filme in solchen Fällen dazu tendieren, Durchschnittsfamilienväter als plötzliche Actionhelden mit Waffenkompetenz und Siegerblick zu inszenieren, bleibt diese Geschichte doch sehr nah an der Wahrheit. Mark will seine Familie beschützen, akzeptiert die Rolle des Verteidigers und wächst über sich hinaus, bleibt im Kern jedoch der gewöhnliche Anwalt, der solche Szenarien höchstens aus seinen Akten kennt. Bobby, Jane und Jared sind nicht nur eine psychopathische Kleinfamilie, ihr Wahnsinn hat Methode. Das Idealbild, das Mary und Mark auf sie zurückwerfen, hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun und so eröffnet „Replicas“ einen Diskurs über schönen Schein und innere Wirklichkeit einerseits und über amerikanische Klassenkluften andererseits. Was schwerer wiegt, ob menschlicher oder materieller Verlust, lässt sich plötzlich nicht mehr so ohne Weiteres entscheiden.
Alina Impe
„Replicas“ Regie: Jeremy Power Regimbal, Darsteller: Selma Blair, Josh Close, James D’Arcy, Rachel Miner, Quinn Lord, Alex Ferris