Fantasy Filmfest-Kritik: „Thale“ von Aleksander Nordaas


Thale - wesentlich schön anzusehen als so ein schnöder Troll. Foto: Splendid Film

Thale - wesentlich schöner anzusehen als ein schnöder Troll. Foto: Splendid Film

Fass das nicht an!

Norwegen zählt mit einer Fläche von 386000 Quadratkilometern und knapp fünf Millionen Einwohnern zu den dünner besiedelten Staaten Europas. Jeder hier sehnt sich hier- fall er es noch nicht geerbt hat – nach einem kleinen Häuschen mitten im Nirgendwo. Eines mit Fußbodenheizung, Kamin, Sauna und Bootsanlegestelle direkt am See. Der Norweger ist da durchaus anspruchsvoll. In der grünen Idylle erzählt man sich dann alte Schauermärchen, während draussen die Bäume knatschen, das Eis auf dem See knackt und sich Fuchs und Igel „Gute Nacht“ sagen: Die schnöde Welt der Vorstellungskraft.

Das Häuschen, in dem sich allerdings Leo und Elvis wiederfinden, entspricht der Vorstellung vom „Schöner Wohnen“ eher weniger. Die beiden arbeiten für eine Reinigungsfima, die sich auf das Säubern von Tatorten und dem Entfernen von menschlichen Überresten spezialisiert hat. Die Hütte, die sie in ihren Schutzanzügen inspizieren, ist ziemlich verrottet und befindet sich, das ist in Norwegen tatsächlich oft so, irgendwo im grünen Nichts. Der Keller offenbart einen verschlossenen Raum, der neben allerlei Unrat, Dosenfutter und rätselhaften Zeichnungen menschlicher Anatomie eine junge Frau beinhaltet. Beinhaltet deshalb, weil Thale, so der Name des reizenden Wesens, scheinbar über Jahre hinweg in einer mit weißem Glibber gefühlten Badewanne zugebracht hat.

Regisseur Aleksander Nordaas mag man seine Geschichte zu Beginn nicht recht abnehmen, denn „Thale“ greift erst einmal tief in die Zitatenkiste und setzt dabei auf typischen Buddy-Movie-Humor. Da findet sich etwa ein Kasettenrekorder, der, nachdem Elvis trotz Warnung seines Freundes die Play-Taste drückt, die tiefe Stimme eines alten Mannes preisgibt, die nichts anderes tut, als dem Film sein Fundament zu verleihen. Das hat 1981 bereits bei Sam Raimi schon für Stimmung gesorgt, und das tut es, klar doch, auch hier. Nebenbei wird noch ein wenig gekotzt. Und dann wendet sich Nordaas mit Beginn des zweiten Drittels seines Films, zu dem er das Drehbuch geschrieben hat, ziemlich klug von den angerissenen Genremustern ab, ohne sie nie ganz aufzugeben.

Thale, das junge Etwas aus der Badewanne, zählt zu den mythischen Wesen, den sogenannten Huldras, eine weibliche Form der Trolle, die in einigen Regionen auch als Wächter des Waldes angesehen werden. Und sie ist offenbar im Kindesalter von ihren Artgenossen getrennt worden. Wie und warum, das wird auch dem letzten Hinterwälder weiterhin artig in Rückblenden erklärt. Die Oberfläche, die der Film mit diesen Erzählmustern über seine 79 Minuten hinweg klar und deutlich exerziert, verdeckt letztlich – und das ist Nordaas eigentliche Leistung in diesem simplen Film – nicht das eigentliche Ebenmaß seiner Figuren.

Nordaas wendet sich mit seiner Dialektik von Gut und Böse, um deren Festsetzung es in den meisten Horrorfilmen ausschließlich geht, weniger der christlich geprägten europäischen und amerikanischen Kinotradition zu. „Thale“ wandelt auf den Faden des japanischen Arthousekinos und den Figuren eines Hayao Miyazaki, die selten ein blütenreines Weiß oder ein undurchschaubares Tiefenschwarz in ihren Charakteren tragen. „Thale“ spielt mit den Zwischenräumen menschlicher Deutungshoheiten und gibt seine Genregrenzen zum richtigen Zeitpunkt auf. Darum verzeiht man Aleksander Nordaas letztlich auch die leidliche Referenz an „Evil Dead„.

Martin Daßinnies

Thale Regie/Drehbuch: Aleksander Nordaas, Darsteller:  Morten Andresen, Erlend Nervold, Silje Reinåmo, Jon Sigve Skard