„Mistress America“ von Noah Baumbach



Mistress America“ ist kein Film, über dessen Plot man zu sprechen braucht. Vieles von dem was geschieht, ist banal, nicht alles interessant. Der Höhepunkt des ganzen: ein Roadtrip ins provinzielle Connecticut.
Aber um die Handlung scheint es auch nicht zu gehen.
Mistress America“ ist ein Film über Charaktere. Eine ehrliche Komödie darüber, dass wir nicht immer die Guten sein können. Dafür ist der Mensch zu komplex, sein Handeln im besten Falle immer ein bisschen unvorhersehbar. So wie bei Tracy und Brooke. Vielleicht die größte Errungenschaft des Autoren-Duos Baumbach/Gerwig.

Es ist erfrischend zwei Frauenfiguren zu erleben, denen man ein tatsächliches Wesen attestieren möchte. Wie Baumbach schon mit Filmen wie „Greenberg“ oder „Margot und die Hochzeit“ unter Beweis gestellt hat, ist er bereit, auch die Geschichten der unsympathischen, der unausstehlichen Charaktere zu erzählen, an denen sich Zuschauer reiben können. Selbstwahrnehmung versus Außenwirkung scheint sich allmählich als Thema des Regisseurs zu etablieren.

Die Freundschaft zweier Frauen ist der Kernpunkt von „Mistress America„. Die Suche nach dem richtigen Partner spielt ausnahmsweise einmal keine Rolle und so bleibt Raum für vieles, das in anderen Filmen unter den Tisch fällt: „Mistress America“ spiegelt eindrucksvoll das unbestimmte Gefühl wieder, jemanden zu lieben, obwohl man weiß, dass die Person nicht so makellos ist, wie sie scheint. Jemanden zu bewundern, obwohl man weiß, dass die Fassade bröckelt. Alles verdrängen zu können, was das perfekte Bild eintrüben könnte.
Gleichzeitig zeigt er die andere Seite: Das Gegenüber, das angehimmelt werden muss, um sich nicht mit dem eigenen, dauerhaft drohenden Scheitern auseinanderzusetzen.

Mistress America“ ist der Film für die Menschen, die etwas zu alt sind, um zur Zielgruppe eines Coming-of-Age Films zu zählen, aber noch immer die gleichen Fragen ans Leben stellen. Ein Film für Zuschauer, die gerne aus Woody Allen Filmen zitieren, denn das Drehbuch zu „Mistress America“ strotzt nur so vor pointierten Sätzen, die man sich selbst einmal sagen hören möchte. „Ich bin nicht therapierbar, dafür kenne ich mich zu gut“, sagt Brooke. „Manchmal glaube ich, dass ich ein Genie bin und dann wünsche ich mir, ich könnte zu dem Moment meines Lebens vorspulen, an dem jeder das weiß“, erklärt Tracys Freund Tony.
Der Film enthüllt auf entlarvende Weise den Wunsch, keine Option auszuschlagen, sich einmal als jede erdenkliche Variante des eigenen Selbst zu verwirklichen und dabei die große Angst zu verspüren, sich falsch zu entscheiden, am Ende nicht mehr auf die Füße zu kommen.
„Die einzigen Menschen, die mich interessieren, sind die Verrückten, die verrückt leben, verrückt reden, und alles auf einmal wollen, die nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern wie römische Lichter die ganze Nacht lang brennen, brennen, brennen“, schrieb der Autor Jack Kerouac bereits vor fast sechzig Jahren und beschreibt damit sehr treffend Noah Baumbachs „Mistress America“ Brooke.

Emily Grunert

Mistress America„, Regie: Noah Baumbach, DarstellerInnen: Greta Gerwig, Lola Kirke, Jasmine Cephas Jones, Matthew Shear, Kinostart: 10. Dezember 2015

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