„Silvi“ von Nico Sommer


"Silvi": Ganz alltäglicher Trennungsschmerz. Foto: Alexander du Prel

"Silvi": Ganz alltäglicher Trennungsschmerz. Foto: Alexander du Prel

Noch ist alles möglich

Zwei Sätze beenden Silvis Ehe abrupt: „Ich kenne jede Falte an Dir. Das ist doch ein Albtraum“. Ungerührt lässt die Mittvierzigerin die Szene an sich vorüberziehen, während ihr Ex-Mann aus dem Auto steigt. Mit einer Bierdose in der Hand. Wenig später setzt Schunkelmusik ein. Die Welt ist kaputt, obwohl der Liedtext etwas anderes sagt. Es sind Gegensätze, die Regisseur Nico Sommer geschickt zu nutzen weiß, um eine Geschichte vom alltäglichen Trennungsschmerz und dem Sich-Finden zu erzählen.

Einer dieser Kontrastpunkte ist die Hintergrundgeschichte zum Film: eine wahre Geschichte, echte Erinnerungen und empfundene Verletzungen. Weiß man als Zusehender darum, ist man im Verlauf der Handlung womöglich versucht, zwischen Wahrheit und erzählter Fiktion zu unterscheiden. (Diesen Gedanken kann man getrost beiseite lassen.) Ein anderer Gegensatz sind die Stilmittel, mit denen Sommer arbeitet. „Silvi“ ist einerseits ein Spielfilm mit einer sehr klassischen Erzählebene, grenzt andererseits jedoch ans Dokumentarische. Silvis Aufarbeitung der Trennung, ihre folgende Suche nach Ersatz und Erklärungen, warum das allumfassende Wir in einem scheinbar so kurzen Moment zu einem brachliegendem Ich geschrumpft ist, findet in Dialogszenen ihren Ausgang. Eine Stimme aus dem Hintergrund fragt – und Silvi gibt, erst zögerlich, dann immer offener, Antwort. Fährt sich dabei durchs Haar und gibt eine Verwundbarkeit preis, die die Erzählebene des Spielfilms sonst nur selten berührt. Obwohl dort thematisch so einiges geschieht: Sex als Ware, Sex als Selbstbezug, Sexualität als Ausdruck von Demütigung und Unterwürfigkeit.

Auf die Trennung folgt also die Neuorientierung und die Suche nach Ersatz. „Ein guter Ficker ist selten ein Dicker“ erklärt ihr einer der ersten Männer auf den sie trifft mit einem selbstgefälligen Lächeln im hageren Gesicht. Ihm sind Formen und Umgang und damit auch Silvis Probleme egal. Ein schmales Hemd, das auf kurze Bettgeschichten spezialisiert ist, es führt zu nichts. Es wartet am Ende ein nur noch tiefergreifender Selbstzweifel: Der eigene Körper, der nicht mehr dem Ideal entspricht, etwa. Das begreift Silvi natürlich erst nach dem Sex, als er aufsteht und den Raum verlässt. Wieder ist sie die Verlassene, die Dumme und sich Grämende, die erkennen muss, dass es ein Muster ist, von dem sie sich verabschieden sollte. Was folgt, ist eine ständige Umschichtung. Oberfläche (Sex) und Untergrund (Emotion) wechseln, vermischen sich und so scheint es letztlich fast egal zu sein, auf welchen „Typ“ von Mann Silvi trifft. In jedem spiegelt sich lediglich ihre eigene Gestalt und Verfasstheit. Darüber ist sie am Ende dieses bewundernswerten Spielfilms wohl selbst am meisten überrascht.

Martin Daßinnies

Regisseur Nico Sommer im Interview zu „Silvi„.

Kinostart: 03. Okotber 2013