„Frau Stern“ von Anatol Schuster



Frau Stern“ ist eine leise, aber lebendige, feinfühlige, aber auch offene, vielschichtige und unkonventionelle Geschichte, in der Regisseur und Drehbuchautor Anatol Schuster keine klassische Dramaturgie verfolgt, sondern eher sprunghaft erzählt, unvorhergesehene Wendungen nimmt und mit viel Gespür für Zwischentöne verschiedene Deutungsebenen anbietet.
Anatol Schusters zweiter Langspielfilm nach seinem sensiblen Coming-of-Age-Drama „Luft“ (2017) kam ohne Förderung aus – auf Szenenbild, Kostümbild und Licht verzichtete Schuster, vieles improvisierte das Team, auch einige Dialoge. Selbst dass es ein Langfilm mit knapp 80 Minuten Laufzeit werden soll, war zu Beginn der Dreharbeiten nicht klar. So mutet die fiktive Geschichte dokumentarisch an, was auch an der grandiosen Hauptdarstellerin liegt. Ahuva Sommerfeld, die große Entdeckung dieses Films, spielte im Alter von 81 Jahren ihre erste und letzte Rolle als Frau Stern. Der mit Lili Sommerfeld befreundete Kameramann und Produzent Adrian Campean entdeckte Ahuva Sommerfeld für die Rolle. Ihr Spiel ist glaubwürdig, von besonderer Präsenz und gerade deshalb anrührend, weil es technisch nicht perfekt ist.
Die Filmpremiere auf dem Festival Max Ophüls Preis 2019 erlebte die 1937 in Jerusalem geborene Sommerfeld noch mit, im Februar verstarb sie in Berlin.

Beim Filmfestival achtung berlin gewannen Ahuva Sommerfeld (posthum) und Kara Schröder („Dreißig„) gemeinsam den Preis als Beste Schauspielerin. Außerdem erhielt „Frau Stern“ den Preis des Verbands der deutschen Filmkritik und die Festivaljury zeichnete ihn als Besten Spielfilm aus. „Unaufgeregt, weise und sehr ehrlich porträtiert der Film eine kleine Frau, die mit festem Blick radikale und unverblümte Sätze spricht, welche in ihrer puren Wahrhaftigkeit zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken bringen“, begründete die Festivaljury ihre Auswahl. „Liebevoll und leichtfüßig werden wir durch einen tief traurigen und berührenden Film geführt, welcher vom dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erzählt und trotzdem Raum für so viel Schönheit und Liebe lässt.“

Mit seinem Film gelingt Anatol Schuster eine Hommage an diesen besonderen Menschen – Frau Stern. Schuster beleuchtet Frau Sterns Vergangenheit nicht ausführlich, doch die wenigen Fakten erschüttern. Die Nazis brachten ihre gesamte Familie um, sie hat als Einzige das KZ überlebt. „Dass ich noch lebe, das ist reiner Zufall“, sagt Frau Stern einmal zu ihrem Arzt. Immer wieder holen sie Erinnerungen ein, in Gedanken sieht sie sich selbst wieder und wieder als junge Frau. Frau Stern und ihr verstorbener Mann haben sich geschworen: verzeihen ja, vergessen nie.
Bald werden die letzten Überlebenden des Holocaust nicht mehr berichten können. Angesichts des zunehmenden Rechtsrucks und antisemitischer Übergriffe in Deutschland und anderen Ländern Europas bleibt es wichtig, Geschichten wie die von Frau Stern zu erzählen.

Stefanie Borowsky

Frau Stern„, Regie: Anatol Schuster; DarstellerInnen: Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder, Murat Seven, Robert Schupp, Nirit Sommerfeld, Pit Bukowski; Kinostart: 29.08.2019

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