“Gözetleme Kulesi” (“Watchtower”) von Pelin Esmer



Die junge Frau wirkt deplatziert in dieser Ödnis. Ihr Onkel hat ihr diesen Job vermittelt. Bei ihren Eltern meldet sie sich eher selten. Die werden längst wissen, dass sie, statt Literatur zu studieren, lieber in dem Mini-Reiseunternehmen jobbt. Erklären will sie sich nicht vor ihnen. Denn wie sollte sie ihnen das Unaussprechliche auch klarmachen.

Scheibchenweise enthüllt Regisseurin Esmer warum ihre Protagonisten sich zurückziehen, warum sie dort sind, wo sie sind, aber kein anderer sein möchte. Inmitten der überwältigenden Natur mit den mächtigen Bergen und den tiefen Wäldern verlören sich die beiden beinahe, würden sich ihre Schicksale nicht kreuzen. Seher verbirgt so lange eine ungewollte Schwangerschaft hinter ihren weiten Kleidern vor Menschen, die nichts sehen wollen, bis diese in eine unvermeidliche Niederkunft des Kindes in einem Lagerkeller münden muss. Die junge Mutter kann ihr Kind kaum ansehen und will es schnell loswerden. Achtlos versteckt sie das Neugeborene am Rastplatz und setzt sich geschwächt in den nächsten Bus, um den Ort und die Erinnerungen an alles, was sie hierher geführt hat, hinter sich zu lassen.

Im Bus trifft sie auf Nihat, der sie als scheinbar Einziger bei ihrer Verzweiflungstat beobachtete. Er nimmt sich der von der Geburt geschwächten Seher an, bringt sie zu seinem Rückzugsort, seinem Wachposten, um wenig später zur Busstation zurück zu kehren und auch ihr Kind zu retten. Es lag noch immer unbemerkt da, wo es Seher zurückgelassen hatte.

Esmer, die auch das Drehbuch schrieb, entwickelt ihr Drama – wie schon in „10 to 11“ – indem sich die Regisseurin ganz auf die beiden Figuren im Zentrum und deren Schicksal konzentriert. Ausdauernd lässt sie die beiden auf ihre Zuschauer wirken, indem sie sie in der verlassenen türkischen Berggegend ausstellt. Ganz langsam lernen wir die beiden kennen und versuchen zu verstehen, was sie an den Ort brachte, an dem wir ihnen begegnen. Je mehr sie preisgeben, desto bitterer ihre Schicksale. Leise formuliert Esmer Fragen nach Schuld und Sühne, ohne die beiden anzuklagen oder sie zu bewerten. Vielmehr fragt sie, welche Gesellschaft das alles zulässt. Sie entlässt einen ratlos, wie sie Nihat und Seher zurücklässt, denen wohl kaum mehr bleibt als deren geteilte Einsamkeit, ein Kind und einander.

Denis Demmerle

Gözetleme Kulesi“ („Watchtower„), Regie: Pelin Esmer, Hauptdarsteller: Olgun Simsek, Nilay Erdonmez, Kinostart 17. April 2014

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