HINTER GUTEN TÜREN von Julia Beerhold


HINTER GUTEN TÜREN © mindjazz pictures
HINTER GUTEN TÜREN © mindjazz pictures

Schuld, Vergebung – und die Sehnsucht nach Familie

Gewalt in der eigenen Familie gehörte für mehr als 50.000 Kinder laut einer Studie 2021 zum Alltag. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Was macht das mit einem Kind? Wie beeinflusst eine solche Erfahrung das restliche Leben dieser Kinder? Wie lässt sich damit umgehen, wenn das Verhältnis zu Liebe und Sicherheit dermaßen gestört ist? Julia Beerhold gräbt in ihrer eigenen Vergangenheit um diese Fragen für sich zu beantworten.

Julias Bruder Jens zieht in das Elternhaus der beiden. Doch zuerst muss alles aussortiert werden, um das Haus, das über Jahre leer stand, renovieren zu können. Julia durfte all die Jahre nichts anfassen, jetzt soll sie ihre Sachen abholen. Was schon in Mülltüten verpackt ist, darf sie auch durchsuchen. Einige Ecken hat ihr Bruder abgesperrt mit der Aufschrift „Bleibt“. Und so wühlt sie sich durch ihre Kindheit.

Die Eltern hatten sich ein gutes Leben aufgebaut. Beide hatten gute Jobs, der Vater war Ingenieur, die Mutter eröffnete eine Apotheke. Doch Kinder bekamen sie erst nach 14 Ehejahren. Dann wird das Haus nach dem Plan der Mutter gebaut, alles scheint perfekt. Hinter dieser perfekten Fassade hat Julia Angst vor ihrer Mutter. Sie glaubt, sie sei der Teufel. Ständig wird Julia von Vater und Mutter verprügelt und danach auch noch verhöhnt. Trotzdem liebt sie ihre Eltern. Ihr Vater ist lustig und liebevoll, kündigt seinen Job, um für die Kinder da zu sein. Ihrer Mutter stattet sie heute zwei Mal die Woche einen Besuch in der Altersresidenz ab, in der diese mittlerweile wohnt.

Schonungslos ehrlich

Der Missbrauch belastet Julia schwer. Schon während der Schulzeit zieht sie aus, wandert dann nach Spanien aus und kehrt schließlich wieder zurück. Sie wurde Opfer sexuellen Missbrauchs. Und sie wurde selbst zur Täterin, indem sie ihre beste Freundin schlug und demütigte. Ihr Verhältnis zu Liebe ist gestört. Jens geht ganz anders damit um. Für ihn war es eben ein Phänomen der Zeit, dass Kinder geschlagen wurden. Doch auch seine Beziehungen scheinen dysfunktional.

Die Kamera begleitet Beerhold wie eine gute Freundin, so ist man immer ganz nah dran an den ProtagonistInnen. Julia Beerhold ist in HINTER GUTEN TÜREN schonungslos. Sowohl gegen sich selbst, als auch anderen gegenüber. Sie konfrontiert nicht nur ihre Mutter und ihren Bruder mit der Vergangenheit, sondern die eigene Person. Das macht die Qualität dieses Filmes aus. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist für die Beteiligten nicht einfach. Es besteht für Julia auch die Gefahr, dass die Beziehungen zu ihrer Mutter und zu ihrem Bruder daran zerbrechen. Auch ihren Weg über die eigene Täterschaft, über die Abgrenzung von der Familie, das Zurückkommen hin zur Therapie, zeigt sie, ohne etwas zu beschönigen. Diese Ehrlichkeit, dieser Mut, ermöglicht den ZuschauerInnen einen tieferen Zugang zur Geschichte und zum Thema Missbrauch.

HINTER GUTEN TÜREN; Regie: Julia Beerhold; Kinostart: 30. Mai 2024; Di 04.06. 19 Uhr Moviemento in Anwesenheit von Julia Beerhold (Regie), Üwen Ergün (Sprecher National Coalition) und Birger Holz (BilderKraft)