INFINITY POOL von Brandon Cronenberg


INFINITY POOL © NEON and Topic Studios

Der Tod in Li Tolqa

Nachdem Brandon Cronenberg vor rund zwei Jahren mit POSSESSOR in die Fußstapfen seines Vaters David Cronenberg – dem wohl prominentesten Auteur unter den kanadischen Filmemacher*innen – getreten ist, setzt er diesen Weg mit INFINITY POOL konsequent fort. Darin verbringt der erfolgreiche Autor James (Alexander Skarsgård) den Urlaub mit seiner Ehefrau Em (Cleopatra Coleman) in einem sonnigen Luxusresort an der Küste des fiktiven Staates Li Tolqa. Doch von Beginn an scheint der Eindruck des vermeintlich perfekten Ferienparadieses zu trügen. „Did you just say you can’t feed yourself with white-sand brain death?“, fragt Em ihren Mann am ersten Morgen im Halbschlaf, bevor sie zum Frühstücksbuffet aufbrechen. Die Animateure der Hotelanlage weisen die Touristen auf die nahende Regensaison hin und führen ihnen grauenvoll anmutende traditionelle Masken der Einheimischen vor, die selbstverständlich im Souvenirshop erhältlich sind. Unter den Gästen lernt James die Schauspielerin Gabi (Mia Goth) kennen, die ihn als Schriftsteller bewundert. Zusammen mit ihrem Partner Alban (Jalil Lespert) verlassen sie das Hotelresort, obwohl es ihnen eigentlich untersagt ist. Nach einem tragischen Unfall werden sie von den örtlichen Behörden vor eine drastische Wahl gestellt: entweder sollen sie hingerichtet werden, oder sie können sich selbst beim Sterben zusehen – falls ihre finanziellen Mittel es denn erlauben.

Die Handlung von INFINITY POOL mag auf den ersten Blick wie ein psychotischer Ableger von TRIANGLE OF SADNESS anmuten. Doch wo Ruben Östlund auf plakative Weise die Luxusprobleme der Wohlstandsgesellschaft und das Konzept des Pauschaltourismus karikierte, nutzt Brandon Cronenberg diese Prämisse vielmehr als Sprungbrett für eine einschneidende Genretransformation in einem außergewöhnlichen audiovisuellen Gewand. Im Zusammenspiel der rotierenden Kameraarbeit von Karim Hussain und der bedrohlichen atonalen Klangkulisse des kanadischen Experimentalmusikers Tim Hecker entfaltet sich eine zunehmend alptraumhafte Grenzüberschreitung, die vor allem in der Stilrichtung des „Trance-Films“ zu verorten ist. Dieses Subgenre hat im vergangenen Jahrzehnt mit ENTER THE VOID und Panos Cosmatos‘ BEYOND THE BLACK RAINBOW einen Sprung von der Avantgarde in die Popkultur vollzogen und ist mittlerweile bei den großen Filmfestivals von Cannes (THE NEON DEMON) bis zur Berlinale (DISCO BOY) im Wettbewerb vertreten. Die Werke zeichnen sich durch schlafwandlerische Strukturen aus, die nicht zwingend einer linearen Logik folgen, sondern ihre Figuren vielmehr skurrile und stellenweise auch brutale Selbsterfahrungstrips durchlaufen lassen.

Warum dies bei INFINITY POOL so gut funktioniert, liegt vor allem in der ironischen Brechung des Dargestellten. Wann immer die heftigen Gewaltspitzen auf ihren Höhepunkt zusteuern (hier lassen sich so einige Anspielungen auf Stanley Kubricks A CLOCKWORK ORANGE finden), wird gleichzeitig infrage gestellt, wer denn dadurch eigentlich zu Schaden gekommen ist. In diesem bitterbösen dekadenten Spiel, das die Darsteller*innen – allen voran Alexander Skarsgård und Mia Goth – entfalten und das sich keine vordergründige Sozialkritik anmaßen will, zeigt sich eine thematische Verwandtschaft zu David Cronenberg. Dieser prägt(e) die filmische Darstellung von Identitätskrisen, den Grenzräumen zwischen Fiktionalität, Realität, Virtualität und dem Body Horror maßgeblich, ohne sich dabei explizit auf soziopolitische Zusammenhänge zu beziehen. Brandon Cronenberg fiktionalisiert seine Handlung ebenfalls fernab von konkreten weltlichen Kontexten. Dabei findet er seinen eigenständigen Stil vor allem darin, dass die sittenlosen Entartungen weniger theoretisch oder akademisch anmuten, als in den Werken seines Vaters.

Henning Koch

INFINITY POOL, Regie: Brandon Cronenberg, Darsteller*innen: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Thomas Kretschmann