„Insel 36“ von Asli Özarslan


Der Dokumentarfilm "Insel 36" feierte bei achtung berlin seine Berlin-Premiere. Er thematisiert das Flüchtlingscamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Foto: achtung berlin

Der Dokumentarfilm „Insel 36“ feierte bei achtung berlin seine Berlin-Premiere. Er thematisiert das Flüchtlingscamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Foto: achtung berlin

Kein Zuhause in der Fremde

Ein Rollkoffer rattert leise durch den Schnee. Sein Besitzer hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und steuert unsicher auf ein schmutziges Zelt zu. Der Temperaturen dürften hier drinnen nur marginal erträglicher sein, aber immerhin wird er mit warmen Worten empfangen. „Wir sind eine große Familie“, sagt Napuli und lächelt. „Wir“, das sind circa 70 Flüchtlinge aus der gesamten Republik, die sich im September 2012 nach Berlin aufmachten, um direkt vor den Augen der Politik ein Zeichen zu setzen. Menschen mit verschiedensten Hintergründen und Traumata, die ihre unwürdigen Lebensbedingungen nicht mehr ertrugen und ein mit Spenden verwaltetes Camp installierten. Gut sichtbar und nicht länger ignorierbar auf dem Oranienplatz in Kreuzberg.

Allen voran Napuli, die Initiatorin und Leiterin des Camps. Als einzige Frau innerhalb der Gruppe ist sie die zentrale Vertrauensinstanz. Ein Umstand, den auch Asli Özarslan als Regisseurin der Dokumentation „Insel 36“ schnell begriff. Monatelang verbrachte sie ihre Zeit mit Napuli und den anderen Flüchtlingen, noch bevor überhaupt eine einzige Einstellung gedreht wurde, während die Tagespresse meist nach wenigen Stunden und getaner Arbeit wieder abzog. Vertrauen kostet Zeit.

Die Abschaffung von Lagerunterbringung, Residenzpflicht und Abschiebung sind die primären Ziele, mit denen sich weltweit Betroffene und Verbündete identifizieren. Das Medieninteresse ist groß, der Handlungswille der Politik allerdings begrenzt. Die Pflicht der Flüchtlinge zum Aufenthalt innerhalb behördlich bestimmter Grenzen findet nur in Deutschland Anwendung, nirgendwo sonst in Europa. Inzwischen wurde das Gesetz gelockert und auf einen Zeitraum von drei Monaten befristet. Wer bis dahin keinen gesicherten Lebensunterhalt hat, muss dennoch mit weiteren Auflagen rechnen.

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