„La danza de la realidad“ von Alejandro Jodorowsky
Das Kind in uns erinnert sich. Es erinnert sich an Liebe und Zuneigung in den prägenden Jahren des schmerzlichen Erwachsenwerdens. Vor allem aber erinnert es sich an die eigenen Eltern, die diese Gefühle erstmals zeigten oder vorenthielten.
So ergeht es auch dem jungen Protagonisten Alejandro Jodorowsky (Jeremías Herskovits), der in den 30er Jahren in Chile aufwächst, das von den Folgen der Weltwirtschaftskrise – hohe Arbeitslosigkeit, starke Diskrepanz zwischen Arm und Reich, ideologische Verhärtungen – besonders erschüttert wurde. Der Vater Jaime (Brontis Jodorowsky, der Sohn des Regisseurs) ein glühender Kommunist, Stalin-Anhänger mit Uniform und autoritärer Patriarch, die Mutter Sara (Pamela Flores) eine fürsorgliche, weiche, religiöse und leicht hysterische Glucke. Alejandro wird früh gezwungen, sich zu positionieren. Der Vater beschimpft ihn als verweichlichte Schwuchtel und verlangt ihm Männlichkeitsrituale ab, die von der narkosefreien Zahn-OP bis zum Straßenkampf reichen, als Belohnung gibt es dann ein Eis und lobende Worte. Doch oft ist es das vermeintlich Weibliche, Großherzige, das Alejandro das eigentliche Glück beschert: Dem invaliden Bettler den Rücken kratzen (den der Vater im Anschluss verprügelt), dem Schuhputzjungen seine teuren, roten Schuhe schenken, in Mamas Armen gehalten werden.
Doch bevor der junge Alejandro die Frustration über diese unüberwindbar scheinende Kluft internalisieren kann, wittert Alejandros Vater, Jaime, die Chance, den rechtspopulistischen Präsidenten und Junta-Führer Ibanez zu töten. Alejandro tritt nun in den Hintergrund. Stattdessen erzählt der Film plötzlich, wie der Vater Jaime seine eigene Menschlichkeit entdeckt und in der Folge viele Schicksalsschläge durchleiden muss (Verkrüppelung, Amnesie und Junta-Folter), bis er endlich geläutert zu seiner Familie zurückkehren kann.
Die Transformation des Vaters und die Adoleszenz des Sohnes als einander bedingende und in eine Einheit zusammenfallende Welten: Davon erzählt Alejandro Jodorowskys im auf der gleichnamigen Autobiografie beruhenden Film „La danza de la realidad“ (Frankreich, 2013) in ausuferndem, geradezu epischem Ausmaß. Über zwei Stunden jagt ein Ereignis das nächste, um Jodorowskys einleitenden Worten, „dass Freude und Schmerz so nah beieinander liegen“, Gewicht zu verleihen. Diese Parallelität der Erfahrung wird visuell stark unterstrichen: Manchmal wandert der alte, grauhaarige Jodorowsky selbst durch die Szene, um Erkenntnismomente metaphorisch zu verdichten, dann verstärken surrealistische Bildeinfälle das stark persönliche, wenn nicht gar narzisstische Narrativ, andauernd tummeln sich vermeintliche Randfiguren (Kleinwüchsige, Invalide, Prostituierte), Traum und Realität scheinen zusammen zu fließen. Und all das ist angereichert mit einer hohen Dosis Pathos.