LIEBE, D-MARK UND TOD – AŞK, MARK VE ÖLÜM von Cem Kaya


LIEBE, D-MARK UND TOD © filmfaust, Film Five

Mein Freund, der Deutsche?

Das Anwerbeabkommen mit der Türkei brachte von 1961 an neben den als Gastarbeiter*innen bezeichneten Menschen auch deren musikalische Einflüsse nach Deutschland. Über Jahrzehnte hinweg wandelten sich die wehmütigen Lieder der frühen Jahre in ganz eigene akustische Mikrokosmen. Der Dokumentarfilmer Cem Kaya porträtiert in seinem filmischen Essay LIEBE, D-MARK UND TOD – AŞK, MARK VE ÖLÜM die Hintergründe dieser Migrations- und Musikbewegung, die außerhalb der Diaspora größtenteils unbekannt geblieben sind.

Dabei hat er sich viel vorgenommen. Anhand von zahlreichen Archivmaterialien und Interviews mit Musikern und Beteiligten erweckt er diesen Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte über die Leidtragenden des Wirtschaftswunders bis zu den Protestformen der „Dritten Generation“ zum Leben. Insbesondere die ersten – überwiegend männlichen – Arbeitsmigranten, die in den 1960er Jahren mit großer Hoffnung auf ein besseres Leben in die Bundesrepublik kamen, sahen sich durch die tristen Lebens- und Arbeitsbedingungen mit der harten Realität des Wirtschaftswachstums konfrontiert. Die Eindrücke der kargen Wohnbaracken und die Strapazen unter Tage oder an den Fließbändern spiegelten sich auch in der Musik wider. Arbeiter nutzten die traurigen Balladen als Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und zur Vereinigung mit ihren Leidensgenossen. Die Lieder handelten von dem Leben in der Fremde, der Heimatlosigkeit und prangerten die Kälte und Gleichgültigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft an.

In den 1970er und 80er Jahren verbanden sich die Einflüsse von Volksliedern, Blues, Jazz, Rock und Folklore zu vollkommen neuen und eigenständigen Hybriden. Es entstanden eigene Produktions- und Vertriebswege, vor allem der Handel mit Musikkassetten florierte auf türkischen Märkten und in Geschäften fernab der deutschen „Leitkultur“, die durch die Ignoranz der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender kaum mit dieser in Kontakt kam. Und das, obwohl Superstars aus der Türkei in Deutschland ganze Stadien füllten und einige Künstler*innen wie Cem Karaca und die Kanaken („Mein Freund, der Deutsche“) auch in deutscher Sprache sangen. LIEBE, D-MARK UND TOD, der Gewinner des Panorama Publikums-Preises bei der diesjährigen Berlinale, vermittelt mit faszinierenden Aufnahmen des Türkischen Basars im stillgelegten U-Bahnhof Bülowstraße im geteilten Berlin oder in Gesprächen mit schillernden Persönlichkeiten, darunter die Saz-Koryphäe İsmet Topçu mit seinem ausgeprägten Faible für den Weltraum, einen hypnotischen Eindruck der musikalischen Subkultur. Diese wurde schließlich durch die von der US-amerikanischen HipHop-Szene inspirierten Nachwuchs-Generationen in den 1990er Jahren aufgegriffen. Türkischer, englischer und deutscher Rap von Pionieren wie Fresh Familee, King Size Terror oder Islamic Force brachte deren Perspektivlosigkeit und Frustration als ewige Außenseiter in Deutschland auf konfrontative Weise zum Ausdruck.

All die Ereignisse werden auf atemlose Weise in Form einer rasant montierten Popkultur-Collage dargestellt. Ähnlich wie in seiner vorherigen Dokumentation REMAKE, REMIX, RIP-OFF (2014), in der Cem Kaya die bunte Welt der B-Movies und Action-Remakes in der Türkei unter die Lupe genommen hat, macht er hier keine Kompromisse. Humorvolle und unterhaltsame Momentaufnahmen treffen auf ernste Wendepunkte der Geschichte, zum Beispiel die zahlreichen tödlichen Skinhead-Attacken zur Wendezeit. LIEBE, D-MARK UND TOD wirkt stellenweise etwas überambitioniert, wenn die Geschichte der türkischen Migrant*innen, ihrer Musikszenen, die historischen Ereignisse und die Porträts von ausgewählten Personen aus mehr als vier Jahrzehnten in rund 90 Minuten abgehandelt werden sollen. Dennoch überzeugt der Film mit seinem betont unakademischen Ansatz und liefert einen erfrischenden Blick nicht nur auf die – sondern aus der Perspektive der Akteur*innen.

Henning Koch

LIEBE, D-MARK UND TOD – AŞK, MARK VE ÖLÜM, R: Cem Kaya, D: İsmet Topçu, Cavidan Ünal, Hatay Engin, Yüksel Özkasap, Rüstü Elmas u.a.