„Little Joe – Glück ist ein Geschäft“ von Jessica Hausner



Im Zusammenhang mit Joes Theorie, dass die sterile Pflanze zur Fortpflanzung den Menschen unbemerkt infiziert, um die Reproduktion auf anderem Wege sicherzustellen, stellt Hausner in „Little Joe“ durch Figurenkonstellationen und Plotentwicklungen Fragen der Wahrnehmung. Joe etwa legitimiert seine Ablösung zur Mutter durch sein Alter und sieht in der Pflanze keinerlei Gefahr. Alices Therapeutin erkennt in Alices Theorie eine Angst ihren Sohn zu verlieren, die Alices Wahrnehmung verzerrt. Selbst Alices Chef stützt sich stoisch auf Testergebnisse, die belegen, dass Little Joe keine Nebenwirkungen auslöst. Wer kann schon die Wahrhaftigkeit von Gefühlen beweisen? Hausner lässt die Figuren in ihren verschiedenen Wahrnehmungen geschickt gegeneinander auflaufen, auf deren Basis eine tiefe psychologische Brutalität wächst, gerade weil nie aufgelöst wird, ob Alices Theorie nur innere Projektion ist oder faktisch real ist.

In sterilen, künstlichen Bildern erzeugt Hausner eine beklemmende Enge, die durch den alarmierenden, dissonanten Sound des verstorbenen Avantgarde-Komponisten Teiji Ito, verharrende in die Leere laufende Kamerazooms und das kühle, fast zombieartige Schauspiel der Charaktere unter die Haut geht. Die Filmmusik lässt wütende Hunde bellen, es knarzt und scheppert. Puls immer auf 180. Das Bedrohliche und das Adrenalin brechen ständig aus im Sound. Eigenwillig und seltsam fern wirken jedoch die Figuren. Hausner kommt nicht an sie heran, betrachtet sie steif von außen, was als dramaturgisches Mittel weitere Engegefühle schürt und das Genre und die Story bedient, jedoch abträglich für den Spannungsbogen und das Erzähltempo ist. Gern würde man Emily Beecham, die in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, an den Schultern packen und einmal kräftig schütteln, nur um eine Emotion aus ihr herauszukitzeln.

Little Joe“ ist auf visueller Ebene ein einwandfrei produzierter bizarrer Trip, der einem mit brillanten Klangteppichen, pastellartigen Kostümen, scannenden, in die Leere laufende Kameramanövern und manieristischen Lichteffekten die Haare zu Berge stehen lässt. Die strenge, auf künstlich gebürstete Ästhetik nutzt sich jedoch ab und wird durch den Plot und den fehlenden Spannungsbogen nicht vorangetrieben. Hausners übereifernder Stil schafft atmosphärisch dichte Bilder und erzeugt eine gewollte bedrohliche Leere. Eine Leere, die womöglich jedoch voller Konstruktionseifer etwas überspannt ist.

Wenke Bruchmüller

Little Joe – Glück ist ein Geschäft„; Regie: Jessica Hausner; DarstellerInnen: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kit Connor, Kerry Fox; Kinostart: 09. Januar 2020

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