LUCHADORAS von Paola Calvo und Patrick Jasim


LUCHADORAS © missingFILMs

Frau sein in Mexiko

Wie Superheldinnen maßen sie an. Mutig, laut, bunt. Immer wieder stehen sie auf, wenn sie mit voller Wucht auf den Boden des Wrestling-Rings aufprallen. Doch sie sind kein fiktives Hirngespinst einer männlichen Fantasie. Nein. Sie sind das Produkt weiblicher Care-Arbeit. Entsprungen aus dem realen Leben. Take that.

In Ciudad Juárez ringen die Luchadoras, weibliche Kämpferinnen, im Ring. Vor allem aber außerhalb des Rings: gegen brutale Gewalt und Geschlechterdiskriminierung und für Gleichberechtigung. Von letzterer sind sie meilenweit entfernt. Die Wüstenstadt an der amerikanischen Grenze zu El Paso ist die am schwersten betroffene Stadt des Drogenkriegs in Mexiko, in der verschiedene Drogen-Kartelle um die Vorherrschaft kämpfen. Weltweit passieren hier die meisten Femizide. Frauenmorde gibt es quer durch die Gesellschaftsschichten. Die Täter werden in den seltensten Fällen überführt.

Mit bunten, intimen Bildern begleitet Paola Calvos und Patrick Jasims Dokumentarfilm die emanzipatorische Bewegung der drei Wrestlerinnen und Aktivistinnen Lady Candy, Baby Star und Mini Sirenita. Langsam versinkt man in die Tiefe des Films, der die weiblichen Rollenzwänge und das Geschlechterverhältnis in einer patriarchalen Welt hinterfragt.

Entgegen des bunten performativen Showcharakters des Wrestlings ist der dargestellte Umgang mit den Diskriminierungsformen im Alltag in LUCHADORAS subtil und nicht überbordend. Die Wrestlerinnen wehren sich und stellen ihre weiblichen Rollenerwartungen infrage. Dass sie dies meist leise, aber hartnäckig tun, erschafft eine Doku, die sich mit ihrer politaktivistischer Botschaft nicht selbst überschlägt, weil sie zu viel auf einmal will. Sie zeigt sanft auf und beobachtet, wie tief eingeschrieben die vermeintlich unterwürfige Position der Frau in einer männerdominierten Welt ist.

Am schlimmsten ist dies immer dann, wenn Frauen selbst misogyne Muster übernehmen und reproduzieren. Als die Mutter von zwei Töchtern, Lady Candy, für ein amerikanisches Visum eine Rechtsanwältin konsultiert und von ihrer Scheidung berichtet, weil ihr Mann sie schlug, wird sie gefragt, was noch zur Trennung führte. „Reicht das nicht?“ fragt sich Lady Candy. Doch, tut es. 

Gemein ist allen Frauen in LUCHADORAS die Care-Arbeit, die sie als Mütter verrichten oder verrichtet haben, neben ihren prekären Beschäftigungen. Und der Wille, dass sie sowohl arbeiten können und auf ihre Kinder aufpassen können. Den mexikanischen Mann irritiert das. Judith Butler nennt dies Gender Trouble: Fallen Frauen aus normativen Geschlechterrollen, müssen sie mit Gegenwehr rechnen. Baby Star etwa wurde von ihrem damaligen Mann gezwungen mit dem Wrestling aufzuhören, als sie ihr Kind bekam.

Oft gleicht Calvos und Jasims Dokumentarfilm, wie das Wrestling, einer geplanten Choreographie, wenn die Frauen in ihren glitzernden Wrestling-Outfits bauchfrei durch Sanddünen stolzieren und mit bunten Masken in inszenierten gleitenden musikvideohaften Bildern selbstbewusst und frei in die Kamera blicken. Doch ihr Leben ist alles andere als frei, sondern durch unvorhersehbare Einschränkungen geprägt, weil sie Frauen in Mexiko sind. Selbst ein Dreh am Grenzzaun muss abgebrochen werden, weil Autos ohne Nummernschild auftauchen, die drohend ihr Revier markieren.

LUCHADORAS ist eine Art der Befreiung: Der Film lebt von seinem Kampfgeist, den die Doku transportiert, dem Sujet, Frauen außerhalb von geschlechtlichen Normen im mexikanischen Wrestling zu porträtieren und den klaren soghaften Bildern.

Die wahren Superheldinnen kämpfen nicht im Ring. Sondern im Alltag. Jeden Tag.

Wenke Bruchmüller

LUCHADORAS, Regie: Paola Calvo, Patrick Jasim. Mit: Lady Candy, Baby Star und Mini Sirenita.

Kinostart: 10.03.2022