„Pieta“ von Kim Ki-duk


"Pieta": Die Wende im Leben eines Wucherers und Geldeintreibers, Foto: MFA+ Filmdistribution

"Pieta": Die Wende im Leben eines Wucherers und Geldeintreibers, Foto: MFA+ Filmdistribution

Kyrie eleison

Es ist schon jetzt undenkbar was Kim Ki-duks Streifen „Pieta“ zugestoßen wäre, hätte dieser nicht den Hauptpreis bei den Filmfestspielen in Venedig gewonnen. Schließlich erlauben es Preise wie jener, Herrn Ki-duks Schaffen allgemein ganz prima zu finden. Diese affektive Seite der Rezeption verweist auf den besonderen Charakter der Gewaltdarstellung in Ki-duks Filmen. Undenkbar, dass ein Us-amerikanischer Action- oder Horrorfilm – und sei dieser noch so blutig – derartige Emotionen beim Publikum auslösen könnte. Mittlerweile bringen sie nur noch Langeweile oder ein müdes Lächeln hervor. Bei „Pieta“ ist dies grundsätzlich anders. Da splittern die Knochen. Da reißen die Sehnen. Köpfe platzen auf und Arme werden zu Konfetti verarbeitet. Das alles ist auch noch so unästhetisch wie möglich inszeniert. Keine sauberen Kopfschüsse. Keine Steven Seagal Genickbrüche. Keine Roundhouse-Kicks. Keine Bullet-time. No Martial Arts. Die Opfer winden sich vor Schmerzen und als Dankeschön werden sie verkrüppelt.

Kang-Do (Lee Jung-jin) ist ein Geldeintreiber. Seine „Kunden“ sind ruinierte handwerkliche Kleinunternehmer. Einst liehen sie sich Geld von seinem Boss. Nun müssen sie ihre Schulden bezahlen – was ausnahmslos keiner von ihnen kann. Kang-Do prügelt nun die Versicherungssumme aus ihnen heraus. Dabei ist er so geizig wie ein Barkeeper. In einer Szene schmeißt er ein armes Schwein aus dem dritten Stock, geht die Treppen hinunter, legt das zertrümmerte Bein auf einen Stein und tritt noch einmal nach: „Das Gelenk ist jetzt völlig im Arsch. Die Versicherung müsste dir 30.000 zahlen.“ Tatsächlich sind Reaktionen wie Ekel und Abscheu durchaus in der Sache begründet und legitim. Was Kim Ki-duk seinem Publikum zumutet ist eigentlich derart unerträglich, dass die Selbsterhaltung dazu zwingt, sein Portrait der Gesellschaft und der Rolle, die das Individuum darin spielt, von sich fernzuhalten.

Die Einsicht, dass der Einzelne bis in die kleinsten Regungen gesellschaftlich präformiert ist, wird als eine Bedrohung empfunden, derer man sich zu erwehren hat. Kang-Do ist elternlos aufgewachsen. Er ist komplett bindungslos: keine Freunde, keine Lebensgefährtin, keine Familie. Dafür masturbiert er täglich. Während eine sexualfeindliche Erziehung in der Vergangenheit mit dem Erwecken von Ekel- und Angstempfindungen besonders gegenüber der Masturbation zu einem Riss in den Generationen und der Vergötterung des Vaters beitrug, die dann zu einer lebenslangen Ängstlichkeit, so wie Autoritätsglauben, Kritiklosigkeit und Geniertheit führte, ist bei Kang-Do einfach gar nichts vorhanden. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes unerzogen. Ihn verbindet mit dem klassischen Untertanen nur das Fehlen von jeder persönlichen Initiative.

Eine besondere Heimtücke erhält dieses Dilemma vor allem dadurch, dass das Pfützchen vom Unbewussten, Kang-Do möge scheitern, keinesfalls illegitim ist- er will scheitern. Allerdings nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. Eine ältere Frau taucht bei ihm auf und sie behauptet seine Mutter zu sein. „Beweise es“, faucht er ihr entgegen und sogleich tritt er die Beweisführung an und vergewaltigt sie. Danach gelangt er in das Stadium eines Kleinkindes. Zum allerersten Mal ist Kang-Do nun bewusst auf der Welt und die Dumpfheit in seiner Mimik und Gestik weicht kindlichen Zügen. Sie kochen gemeinsam und gehen auf einen Jahrmarkt. Kang-Do pflanzt für seine neue Mutter Mi-sun (Min-su) sogar einen Baum. Die Identifikationsleistungen der Mutter werden erst einmal als Liebe deklariert, in Wahrheit jedoch soll Kang-Dos Kaltblütigkeit korrumpiert werden, denn so unglücklich er viele Menschen machte und nicht wenige in den Selbstmord trieb, u.a. Mi-suns wirklichen Sohn, so unglücklich soll er werden, doch dazu muss er erst einmal begreifen, was Glück ist.

Das Zufügen von seelischer Grausamkeit steht brutaler körperlicher Gewalt gegenüber. Einen Gewinner wird es nicht geben. Terror dient dazu, die Gedanken auf elementarste Bedürfnisse zu reduzieren und die Selbstachtung zu zerstören. Es ist die banale Tatsache, dass alle Produkte, und seien diese Verkrüpplung oder Selbstmord, getauscht, genauer verkauft werden müssen, was die Gesellschaft als solche immer wieder in katastrophale Krisen stürzt – und diesem Film sein Grauen verleiht. Diese Einsicht ist es ja, worauf schon manch einer seine Revolutionshoffnungen gründete. Das eigentlich Verblüffende ist, dass diese Revolution nicht eingetreten ist, obwohl die Distribution der gesellschaftlichen Produktion dem Wahnsinn des Marktes überlassen bleibt. „Pieta“ schließt musikalisch mit einer Variante der Litanei „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme dich“. Man weiß ja, wie sehr das schon den Jungs in „Herr der Fliegen“ half.

Joris J.

Pieta Regie/Drehbuch:  Kim Ki-Duk, Darsteller: Lee Jung-jin, Jo Min-su, Kang Eun-jin, Woo Gi-hong, Kinostart 8. November 2012