QUO VADIS, AIDA? von Jasmila Žbanić


Es ist Aidas weibliche Perspektive, die Sicht einer Mutter, einer Ehefrau, einer Lehrerin, einer Übersetzerin und Vermittlerin, die den kriegerischen Konflikt und den in Vergessenheit geratenen Völkermord für den Zuschauer greifbar macht. Die Kamera folgt jedem ihrer Schritte, wodurch eine für den Zuschauer atemlose, gehetzte Dynamik entsteht, in dem sich die Zerrissenheit, das Ankämpfen gegen das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Not der Protagonistin widerspiegelt. Rastlos und gepeitscht durch die beunruhigenden Entwicklungen läuft sie durchs Camp, um anzupacken, wo es nötig ist und um ihre Familie in der Menschenmasse wiederzufinden, zu verstecken, sie zu ermutigen, zu verteidigen und zu beschützen, für ihr Leben zu flehen. Sie ist es, die hier stellvertretend für die Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Töchter steht, die ohne ihre Männer wieder in die Stadt zurückkehrten und mit der Last ihres immensen Verlustes bis heute allein gelassen werden. Ihnen und ihrer unmenschlichen Kraft ist Žbanićs fünfter Spielfilm gewidmet.

Schon in ihrem Spielfilmdebüt ESMAS GEHEIMNIS (GRBAVICA), für den sie im Februar 2006 bei den Berliner Filmfestspielen den Goldenen Bären gewann, schilderte die Filmemacherin die verheerenden Kriegsereignisse und das Ausmaß ihrer Gewalt aus der Perspektive der stillen weiblichen Leiderfahrung. Mit QUO VADIS, AIDA?, fragt die Autorenfilmerin nun ihre Protagonistin, mit dem symbolträchtigen Namen Aida – deren Name im Arabischen so viel wie die Zurückkehrende bedeutet – wie es nun weitergehen soll, und mahnt gleichzeitig mit diesem Titel ans Nichtvergessen und erinnert die junge Generation daran, sich der Geschichte nicht zu verschließen, sondern aus ihr zu lernen. Denn bis heute leugnen viele Nationalisten den Genozid und verehren Ratko Mladić als eine Art Volkshelden, obwohl dieser bereits 2017 in Den Haag als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt und erst im Juni 2021 – nach inzwischen einem Vierteljahrhundert – dieses Urteil vom UN-Kriegsverbrechertribunal erneut bestätigt und die Leugnung des Völkermords endlich unter Strafe gestellt wurde.

Jasmila Žbanić, die zu Kriegsbeginn gerade einmal 17 Jahre alt war, gibt den vergessenen Opfern ihre Gesichter wieder. Mit QUO VADIS, AIDA? schuf die heute 46-Jährige, die für den Film nicht nur Regie führte, sondern basierend auf Hasan Nuhanovićs Chronik „Under the UN flag“ auch das Drehbuch schrieb, einen Film, der in eindringlichen Bildern vom „Verlust des Selbst“, wie sie es nennt, erzählt und davon, wie der „Krieg dich immer kleiner und kleiner macht“.

SuT

1 2