„Rodicas“ von Alice Gruia
Mädchenfreundschaft unter Großmüttern
Am Anfang von „Rodicas“ üben die beiden gleichnamigen Freundinnen – die beiden Ende Achtzig sind – den Auftritt vor der Kamera. Wieder und wieder lässt Regisseurin Alice Gruia die beiden langsam eine Treppe hinauf gehen, bis sie schließlich zufrieden ist. Der Zuschauer dieser Selfmade-Doku muss nicht nur in dieser Eingangsszene Geduld mitbringen. Denn die Rodicas sind alles andere als dankbare Protagonisten. Beide haben einen jüdisch-rumänischen Hintergrund und sind über viele Umwege in Sydney gelandet, wo sie sich kennengelernt haben. Dort verbringen sie ihre Tage mit Shoppen und im Café sitzen, plaudern über ihre Familie und diskutieren über Obama. Das Spannende an diesem relativ unspektakulären Plot: Regisseurin Gruia ist selbst in die Handlung verstrickt. Als Nichte der einen Rodica ist sie auch während des Drehs permanent im Dialog mit den alten Damen, ermuntert sie, von ihrer Vergangenheit zu erzählen und bohrt nach, wenn einer der beiden die Geduld verliert.
Da, wo Rodica Grill lebhaft von ihrer Vergangenheit erzählt, kein Blatt vor den Mut nimmt, wenn es um ihre Gefühle um verstorbene Verwandte und ihr Jüdischsein sein geht, entsteht ein intimer Dialog, der nur funktionieren kann, weil das Auge hinter Kamera für die alte Frau ein vertrautes ist. Dort, wo die andere Rodica, Rodica Gruia, verschlossen und abwehrend auf die Fragen der Nichte reagiert, sich so gar nicht auf eine gemeinsame Reise in die mit Sicherheit schmerzhafte Vergangenheit einlassen will (und kann) und sogar ihrer besten Freundin permanent ins Wort fällt, wenn ihr deren Offenbarungen unangenehm sind, fühlt man sich unfreiwillig in ein Familiendrama hineingezogen, das dem Fremdschämcharakter von Realityfernsehen gleichkommt. Man möchte dieser Frau, die vor über vierzig Jahren aus Ungarn über Deutschland nach Australien gekommen ist, nicht weiter nahe treten und lieber kein Zeuge einer naiv-fordernden Befragung werden, die offensichtlich darauf abzielt, dass Regisseurin Gruia ein paar Statements zu Rodicas deutsch-jüdischen Vergangenheit für ihren Film bekommen möchte.
Dennoch, wie die beiden Frauen so unterschiedlich mit ihrem Alter, mit ihrer Vergangenheit und ihren Gefühlen umgehen, ist ein spannenden Experiment. Leider entlässt „Rodicas“ den Zuschauer mit mehr offenen Fragen, als man es sich für einen Dokumentarfilm wünschen würde: Wo haben die beiden Frauen den Zweiten Weltkrieg überlebt? Haben Sie Kontakt zu ihren Verwandten in Rumänien? Warum ist Rodica Grill gerade nach Uruguay ausgewandert? All diese Fragen werden im besten Fall angerissen, aber nicht befriedigend beantwortet. Stattdessen beschleicht einen das Gefühl, die Regisseurin hätte sich bei ihrem Debütfilm selbst mehr erhofft – und gibt sich während des Drehs der neuen Richtung hin, die die beiden selbstbewussten älteren Damen ihr vorgeben.
Cosima M. Grohmann
Berlinale-Termine: Sa 17.02., 20.30 Uhr, Cinemaxx 1