„Schwestern“ von Anne Wild


"Schwestern": Die Frage nach den Gründen einer Entsagung des Weltlichen. Foto: Farbfilm Verleih

"Schwestern": Die Frage nach den Gründen einer Entsagung des Weltlichen. Foto: Farbfilm Verleih

Für dich, mein Gott

Wie stark muss jemand an Gott glauben, dass es nicht mehr reicht, innerhalb einer Beziehung, als Teil einer Familie, in den eigenen vier Wänden zu ihm zu beten? Der Gang ins Kloster, der Eintritt in einen Klosterorden: Für Atheisten, Agnostiker oder schlichtweg säkular lebende Menschen ist es eine unvorstellbare Vorstellung, sich einer abstrakten, religiösen Form so verpflichtet und verbunden zu fühlen, dass man sein altes Leben mit all seinen schönen, effektiven und unnützen Gewohnheiten hinter sich lässt und die bisherigen menschlichen Verbindungen in ihrer so nahe liegenden Selbstverständlichkeit kappt.

Diese extreme, individuelle Entscheidung war es, die die Regisseurin Anne Wild auf die Idee zum Film „Schwestern“ brachte, der den Abschied einer Familie von ihrer Tochter, Schwester, Nichte und Tante nachvollzieht. Alle Kerkhoffs sind angereist, um Katis (Marie Leuenberger) Aufnahmezeremonie beizuwohnen: die Welt umreisende Lebefrau und Schwester Saskia (Maria Schrader), die erfolgreiche Journalisten-Mutter Usch (Ursula Werner), der wohlhabende Onkel (Jesper Christensen) mit seiner 30 Jahre jüngeren Jola-Freundin (Lore Richter), der verschuldete Buchverlegerbruder Dirk (Felix Schmidt-Knopp) mit Frau (Anna Blomeier) und zwei Kindern. Und zu allem Überfluss der Exfreund (Thomas Fränzel), der Kati immer noch nicht verwunden hat. Doch die Zeremonie wird aus unerklärlichen Gründen unterbrochen und die Familie zieht los, picknicken, mit zwei Flaschen Wein und einem versalzenen Kuchen. Die ungewohnte Konstellation bringt schnell Streitigkeiten zutage – bei denen es vor allem darum geht: Warum tut Kati MIR das an?

Die Frage nach den Gründen einer Entsagung des Weltlichen – sie hätte ein interessantes Sujet sein können. In einer Zeit, in der sowohl der individualisierte Kaufrausch mit personalisierten Endprodukten als auch der bewusste Verzicht auf allzu Selbstverständliches und ethisch Fragwürdiges (Veganismus oder Tausch-Kultur) längst dabei sind, zu kollektiven Normalitäten zu avancieren, erscheint die Rückbesinnung auf eine höhere Instanz jenseits des Ichs unglaublich retro – und überhaupt nicht cool. Deshalb wäre es durchaus lohnenswert gewesen, den individuellen Neuanfang und die gleichzeitige gesellschaftliche Verstörung näher zu beleuchten.

Doch „Schwestern“ lässt diesem Thema keinen Raum, sich zu entfalten und gibt den beiden unterschiedlichen Welten nicht das nötige Spannungsverhältnis. Das „Andere“, das Geistliche, ist lediglich das atmosphärische Hintergrundsgedudel, vor dem sich die weltlichen und kleinlichen Konflikte abspielen. Und so mäandert sich der Film von einer konstruierten Auseinandersetzung zur nächsten, bis man den Beginn der Zeremonie gar nicht mehr erwarten kann und Kati wünscht, dass ihr die Flucht vor diesem schrecklichen Haufen, im Sinne der religiösen Bekehrung und Abkehr, gelingen mag.

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