„Searching for Sugar Man“ von Malik Bendjelloul


"Searching for Sugar Man":Auf der Suche nach dem Mann mit Hut und Sonnenbrille. Foto: Viennale 2012

„Searching for Sugar Man“:Auf der Suche nach dem Mann mit Hut und Sonnenbrille. Foto: Viennale 2012

Größer als die Rolling Stones

„In den 70ern standen in jedem gut sortierten südafrikanischen Plattenregal die Beatles, Simon and Garfunkel und Rodriguez.“ In diesem Satz steckt bereits die ganze Tragik vergessener Berühmtheit. Beatles und Simon and Garfunkel sind schließlich in der musikalischen Nostalgieschublade längst unter den Klassikern abgelegt – aber Rodriguez? Malik Bendjellouls „Searching for Sugar Man“ (S/GB 2011), stürmisch beklatscht bei der Viennale 2012,  spürt dem amerikanischen Musiker nach, der in den 1970ern, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, zwei Alben herausbrachte und in der gleichen Zeit in Südafrika zum Superstar avancierte. Für die alternative Szene verkörperte Rodriguez ein Gegenbild zu Autorität und Repression, insbesondere das freizügige „I wonder“, das mit den Zeilen „I wonder how many times you’ve been had“ beginnt und die sexuelle und emotionale Frustration einer enttäuschten Liebe thematisiert.

Die Dokumentation ist dann auch dem Engagement zweier hartgesottener Fans geschuldet, die in den 1990er Jahren endlich wissen wollten, wem sie eigentlich „den Soundtrack der Anti-Apartheidsbewegung“ zu verdanken hatten und sich auf die Suche nach Rodriguez machten. Zu dieser Zeit hatte sich der Mythos um den Mann mit Hut und Sonnenbrille im Schneidersitz auf dem Plattencover längst verselbstständigt – Sixto Rodriguez, so hieß es, hatte sich angesichts seiner kommerziellen Erfolglosigkeit vor seinem Publikum mit Benzin angezündet und selbst verbrannt, anderen Gerüchten zufolge hatte er sich auf der Bühne eine Kugel in den Kopf gejagt. 1997 kontaktierten der Journalist Craig Bartholomew Strydom und der Plattenladenbesitzer Stephen Segerman das ehemalige Label Sussex, taten seinen Agenten auf und schalteten eine Website, um herauszufinden, wer dieser Musiker denn nun eigentlich war und wie sein Leben ein Ende nahm. Das Ergebnis dieser Suche ist ein Brief mit überraschendem, unerwartetem Inhalt.

Searching for Sugar Man“ wäre ein ziemlich trockener Dokumentarfilm geworden, hätte er sich nur darauf konzentriert, die Spurensuche in Interviews mit Zeitgenossen, Produzenten, Journalisten und Musikern nachzuvollziehen. Stattdessen spielt er – rund 45 Minuten nach Beginn – seinen größten Trumpf aus: Rodriguez selbst, dessen Bescheidenheit und ruhiger Charme nachhaltig beeindrucken. Ein Mann, der seinen eigenen Mythos dekonstruiert und mit ihm den Nimbus, dass Genie und künstlerische Identität das Schicksal besiegeln müssen. So kommentierte Rodriguez die Produktion seiner ersten Platte mit den Worten: „Es hat sich gut angefühlt, diese Lieder, dieses Album geschafft zu haben, etwas zu Ende zu bringen“. Das räumt mit sämtlichen künstlerischen Narzissmusfantasien auf, die man mit musikalischem Genie so oft verbindet. Etwas zu Ende zu bringen, sich einer Sache widmen: Rodriguez ist das Abbild einer Generation, die sich nicht nur durch ihre Arbeit definiert, sondern einen Arbeitsethos verfolgt, der Konzentration und Überzeugungskraft voraussetzt. Zeit seines Lebens verrichtete er schwere körperliche Arbeit, war Bauarbeiter und Handwerker, der von seinen Kollegen immer geachtet wurde, weil er bewusst Verantwortung übernahm. „Er kam im Anzug zur Arbeit und führte jede Tätigkeit mit einer gewissen Feierlichkeit, mit Wertschätzung aus.“ Das Musikerkapitel ist bei Rodriguez eben nur eine von vielen Phasen – schließlich studierte er auch Philosophie und kandidierte bei der Bürgermeisterwahl in Detroit.

1 2 3