SPENCER von Pablo Larraín
Lady Diana Spencer, Princess of Wales, Königin der Herzen, tragischste aller Märchenprinzessinnen. Schon zu Lebzeiten überschattet ihr Image nicht nur sie selbst, sondern auch das britische Königshaus. Die Eckpunkte ihrer Biografie haben sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben: Die unglückliche Ehe mit Prince Charles, die emotionale Kälte der britischen Königsfamilie, die Unersättlichkeit der Boulevardpresse, die Scheidung und schließlich der tödliche Autounfall in Paris. Und als wäre ihr Leben tatsächlich ein Roman, setzt Diana ihren Weltruhm geschickt für soziales Engagement ein und begegnet anderen Menschen stets auf Augenhöhe – das Positiv zum Negativ des Bildes vom weltfremden britischen Königshaus.
Am 13. Januar läuft SPENCER (UK/D 2021) nun in den deutschen Kinos an. Regie hat der chilenische Regisseur Pablo Larraín (JACKIE (USA/CL/F 2016) geführt, in der Rolle der Diana ist Kristen Stewart zu sehen. Der Film füllt eine Lücke, die bisherige Dokumentar- und Spielfilme nicht zu schließen vermochten. Denn während es an reißerischen oder sentimentalen Filmen über Diana keineswegs mangelt, hat es bisher kaum eine Produktion geschafft, das zu tun, wofür Diana so bekannt war: ihr als Mensch, der mal zerbrechlich, mal stark ist, gerecht zu werden.
SPENCER nähert sich dem Mythos Diana auf eine neue Weise. Anstatt die allseits bekannten Stationen ihres Lebens nachzuerzählen, konzentriert sich der Film auf Dianas Innenleben, beschränkt sich zeitlich auf die Weihnachtstage 1991. Drei Tage hinter geschlossenen Vorhängen auf einem Landsitz, der so kühl ist, wie die königliche Familie, umgeben von leeren Ritualen und angestaubter Tradition.
Es ist nicht Dianas erstes Weihnachten als Princess of Wales, sie ist seit zehn Jahren mit Charles (Jack Farthing) verheiratet und am Ende ihrer Kräfte. Höflich bleiben und schweigen ist selbst für eine kurze Zeit keine Option mehr. Längst ist klar, dass diese vermeintlich kurze Zeit nie wirklich endet, es weiter und weiter und weiter geht, von einem Weihnachten zum nächsten.
In SPENCER werden diese 10 Jahre qualvoller Weihnachtsfeiertage und Lieblosigkeit nicht gezeigt, sie liegen in der Vergangenheit, zeichnen sich im Hintergrund ab. SPENCER erzählt von einer Diana, die es nicht mehr aushält, auszuhalten. Die entweder aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen oder am steifen Korsett höfischer Tradition zerbrechen wird. Die Chancen stehen 50:50. Diana bäumt sich also auf gegen die Etikette und damit gegen das britische Königshaus, trägt diesen Kampf buchstäblich auf dem eigenen Rücken aus, führt ihn durch ihren Körper; eine Schlacht, in der sie die einzige Munition ist.
Durch Konversation wird in diesem Film nicht viel gelöst. Alles ist so verfahren, verhakt und verknotet, dass Worte die Wunden entweder aufreißen oder sackgassenartig ins Leere führen. Diana unternimmt also verzweifelte Versuche, die eigene Identität zu retten, sich nicht in Lächeln und Winken aufzulösen. Sie kommt zu spät zu jeglichen Programmpunkten – „They are waiting for you,“ ist der inoffizielle Chatchphrase des Films. Sie missachtet die Kleiderordnung – für jedes Frühstück, Mittag und Abendessen gibt es ein Outfit und Diana zieht das Kleid vom zweiten Weihnachtsfeiertag einen Tag früher an. Sie weigert sich, beim Ankleiden ihre Vorhänge zuzuziehen und wagt nächtliche Spaziergänge. Diese kleinen Akte der Rebellion fallen aber auf sie zurück, bestärken das Geflüster hinter vorgehaltener Hand, die halb verärgerten, halb besorgten Blicke.
Diana ist in SPENCER nicht etwa dabei, zu explodieren, sondern zu implodieren. Der Film schafft es, diesen Zustand durch Bilder und Schauspiel zu erzählen. Dianas Panik, ihr Wunsch auszubrechen, nicht länger nur beobachtet, sondern gesehen zu werden, ist spürbar. Grund dafür ist auch der ungewöhnliche Genremix des Films. Um Dianas seelischen Zustand erlebbar zu machen, greift SPENCER Elemente der Geistererzählung und des Horrorfilms auf. Nicht zuletzt der Soundtrack von Johnny Greenwood, der schon Filme wie PHANTOM THREAD (Paul Thomas Anderson/USA 2017) musikalisch untermalte, trägt zu einer gespenstischen Stimmung bei. Greenwood hält sich von schwelgerischen Melodien fern und siedelt den Soundtrack zwischen Barock und Free Jazz an. Er bedient sich also musikalischer Elemente, die einem Film über das britische Königshaus angemessen scheinen (Stichwort: Händel) und bricht sie gleichzeitig. Der Kontrast zwischen Barock und Free Jazz unterstreicht zugleich auch Dianas Konflikt zwischen Tradition und Selbstverwirklichung. Quietschende Geigen erinnern stellenweise an Bernard Herrmanns Soundtrack zu PSYCHO (Alfred Hitchcock, USA 1961). Das Ergebnis ist so melancholisch wie verstörend.
Die Kameraarbeit von Claire Mathon (PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, Céline Sciamma, F 2019) verbindet die Drama- und Horrorelemente der Geschichte auf visueller Ebene. Mathons Bilder sind geisterhaft; wie aus der Zeit gefallen und gleichzeitig warm und taktil. Das liegt nicht zuletzt an dem körnigen 16-mm-Film, auf dem sie die Handlung einfängt. Die Kamera ist mal starr, mal dynamisch, aber immer ganz nah an Diana.
Die Vielschichtigkeit von Kristin Stewarts Darstellung beeindruckt und berührt. Ihre Diana ist menschlich: verletzlich, zäh, liebevoll und unvollkommen. Keine Heilige, kein Opfer, keine Märchenprinzessin. Genau wie der Film sich der realen Diana auf emotionale statt historische Weise nähert, ist auch Stewarts Darstellung keine reine Imitation. Deutlich wird dies etwa an der Art, wie sie spricht. Die zurückgenommene, gehauchte Artikulation der historischen Diana gleicht bei Stewart eher einer Atemlosigkeit. Der Druck, der auf ihr lastet, die Gefühle, die sie zurückhält und die ihr auf der Brust und im Hals zu sitzen scheinen, sind hörbar.
Im Interview mit dem österreichischen Filmmagazin ray sagte Kristen Stewart: „Die einzige Möglichkeit, ehrlich und aufrichtig zu erzählen, liegt darin, die Geschichte so wiederzugeben, wie man sie selbst empfindet. Es geht darum, sich von der eigenen Sehnsucht leiten zu lassen und daraus zu lernen.“ Nur wenige Kostümfilme nehmen diesen Anspruch ernst. Viel zu oft geht es darum, berühmte Persönlichkeiten nachzuahmen oder „die Wahrheit“ ein für alle Mal abzubilden. Dabei hat der Film als Kunstform eine emotionale Schlagkraft, die dazu einlädt, subjektiv zu erzählen.
Der Ansatz von SPENCER, Dianas Geschichte so zu erzählen, dass sie sich wahrhaftig anfühlt, ohne auf bekannte Klischees zurückzufallen, ist also definitiv einen Kinobesuch wert.