„Striche ziehen.“ von Gerd Kroske
Mauerfall ohne Schlussstrich
An einer Mauer im Norden Bethlehems prangt eine hellblaue Linie. Zwei Männer stehen davor und diskutieren. Der Zweck der Mauer steht dabei außer Frage. Sie trennt das Westjordanland von Israel. Doch der Strich gibt Rätsel auf. Ist das Kunst? Vandalismus? Oder gar eine politische Botschaft? Die blaue Linie, sie hat eine geheimnisvolle Kraft. Vielen fällt sie auf, manche fühlen sich sogar provoziert. Ein bisschen Farbe auf einer Wand.
Knapp 30 Jahre ist es her, als anderswo ein Strich auf einer Mauer die Gemüter erhitzte. Westberlin, 1986. Eine kleine Gruppe gebürtiger Ost-Punks aus Weimar, die jüngst per Ausreiseantrag die Grenze überquert hatte, plante gemeinsam die Aktion „Der weiße Strich“. Ausgestattet mit einer Malerrolle und einem Eimer Farbe schritten sie zwei Tage lang die Grenze ab und zogen die weiße Spur hinter sich her. Bis schließlich eine geheimnisvolle Tür in der Mauer aufging und drei DDR-Grenzsoldaten hervortraten. Einer der Aktivisten, Wolfram Hasch, lief ihnen direkt in die Arme. Es folgten sieben Monate in Bautzen, bis die BRD ihn schließlich freikaufte.