„Striche ziehen.“ von Gerd Kroske



Noch heute zieht sich der weiße Strich durch die Biografien der damals Beteiligten. Ihren Rückblick auf die Geschehnisse von damals hat Gerd Kroske mit dem Dokumentarfilm „Striche ziehen.“ eingefangen. Älter, reflektierter und besonnener sind sie geworden. Ihre Beschreibung der DDR deckt sich mit der Einschätzung anderer, die ihre Jugend im Sozialismus verbrachten: Viel Grau, viel Beton, viele Verbote, wenig Möglichkeiten. Als politische Underground-Bewegung sieht sich die Gruppe rückblickend allerdings weniger. Sie waren jung und sie wollten Spaß haben. Punkrock wurde gemacht, dadaistische Gedichte wurden aufgesagt, Wände wurden beschmiert. Letzteres blieb nicht ohne Konsequenzen. Einige gingen für mehrere Monate in Haft, unter ihnen auch Thomas Onißeit, dem schnell klar wurde, dass ihre kleine Subkultur eine undichte Stelle hatte. Die Informationen, die der Stasi zugespielt wurden, kamen von seinem Bruder Jürgen.

Jürgen hat inzwischen langes, ergrautes Haar und ist Trainer in einem Kletterpark. Ein sympathischer, bodenständiger Mensch, der scheinbar Frieden mit sich und dem Rest der Welt geschlossen hat. Bis Kroske den Fokus heranrückt und nachbohrt. Jürgen verrennt und verzettelt sich, mal ist er sich keiner Schuld bewusst, mal bedauert er, was vor über 30 Jahren vorgefallen ist: „Ich war 19, es war Winter und ich hatte nicht mal Geld für Kohlen.“ Seinen damaligen Freunden reicht das nicht. Dabei geht es ihnen gar nicht um Schuld und Sühne. Es geht um Erklärungen, die er bis heute verweigert. Und vielleicht auch um aufrichtiges Bedauern, das sich, so sehr er sich bemüht, nicht in seinen Worten widerspiegelt.

Striche ziehen.“ kann man nicht nur auf einer Wand. Nicht immer gibt es wohlfeile Erklärungen für die Trennung von etwas, das eigentlich zusammengehört. Die Mauer trennt das Land, der Strich trennt die Mauer, lautet in etwa die Intention des Malers von Bethlehem. Die Linie zwischen den beiden Brüdern, die auch nach mehreren Dekaden nicht durchlässiger zu werden scheint, gibt weiterhin Fragen und Rätsel auf. Manche Farbe ist nicht abwaschbar – und manchmal bleibt unterm Strich ein Rest, der sich nicht löschen lassen will.

Alina Impe

Striche ziehen.„, Regie: Gerd Kroske, Kinostart: 23. April 2015

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