UND MORGEN DIE GANZE WELT von Julia von Heinz


Was erzählt UND MORGEN DIE GANZE WELT dann? Dass linke Gewalt gefährlich ist, aber unausweichlich – also Provokation als Diskursangebot? Zumindest den Anschein scheint der Film zu erwecken, wenn er bewusst gewollt-authentisch (und dabei klischeedurchsetzt) von Vokü-Kochritualen in der WG, Selbstverteidigungstrainings und Plakatbastelei erzählt, aber eben auch von der Lust auf die Eskalation bei einer Prügelei und der behelfsmäßigen Verarztung durch den ehemaligen Aktivisten Dietmar (Andreas Lust), der sicherlich der interessanteste Charakter im Film ist. Die Antifa als Reduktion auf ihr Gewaltpotential und damit auch mehr oder minder indirekt die Gleichsetzung von linker und rechter Gewalt – auch wenn man sich als Pazifist*in versteht, ist es höchst zweifelhaft, die Antifa so unpolitisch und so wenig in Bezug auf die reale politische Situation da draußen zu erzählen, an die AfD farblich erinnernde Kundgebungen einmal ausgenommen. Umso interessanter, dass einige Medien, darunter Süddeutsche Zeitung und epd Film fanden, dass UND MORGEN DIE GANZE WELT sympathisch und sympathisierend von eben dieser Unausweichlichkeit der Gewalt erzählt, die durch die Untätigkeit der Gesellschaft überhaupt erst möglich gemacht wird: Ich habe hier gar keine Auseinandersetzung mit Gesellschaft gesehen. Am relevantesten erscheint in jedweder Lesart noch die Diskussion, wer denn am Ende für die Aktionen den Kopf hinhalten muss – politisch oder auch nur gesellschaftlich Karriere machen ist dann nämlich keine Option mehr, wie es Dietmar als ehemaliges Mitglied der Revolutionären Zellen hautnah erlebt hat, der inzwischen isoliert auf dem Land wohnt. Und wer reiche Eltern mit Verbindungen hat, der kann schon mal eine kurze radikale Phase haben, und dann aber schön das Treppchen weiter hoch steigen. Aber das untersucht UND MORGEN DIE GANZEN WELT auch nicht länger. So verharrt Julia von Heinz‘ Film unentschieden zwischen autobiografisch inspirierter Milieustudie, moralischem Lehrstück und persönlicher Emanzipationsgeschichte. Das ist nicht uninteressant, aber sozial, politisch oder filmisch relevant, wie so viele Kritiker*innen schwärmen, ist es vielleicht auch nicht.

UND MORGEN DIE GANZE WELT ist auf Amazon Prime und Netflix zu sehen.

Marie Ketzscher

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