„Wir sind jung. Wir sind stark“ von Burhan Qurbani



Dabei bemüht sich Qurbani um einen authentischen, quasi-dokumentarischen Stil, der oft Bilder aufgreift, die ins kollektive Gedächtnis gedrungen sind. Das menschliche Drama, das sich beispielsweise im Vater-Sohn-Konflikt niederschlägt oder in Liens Zwist mit dem eigenen Bruder, komplementiert diese Bilder um die persönlichen Schicksale, die den Ereignissen zugrunde liegen könnten. Der Blick auf das Geschehene ist unversöhnlich, die Drastik des Gezeigten ist oft überbordend und durch die Farbgebung grandios inszeniert. Da ist zuerst das Schwarz-Weiß, in dem die Neonazis noch tumber, die Langeweile und Aussichtslosigkeit noch aggressiver wirken und das im Laufe eines Interviews mit einem Skandal heischenden Reporterteam in ein 90er-Jahre-Fernsehbild verläuft, nur um dann ins unmittelbar scheinende und uns gewohnte Farblichkeit zu wechseln, als die ersten Steine fliegen.

Es ist gleichzeitig die Stärke und die Schwäche dieses wichtigen Films, dass er sich so klar positioniert. Im Laufe des Films mögen wir etwas über Stefan und seine Biografie erfahren, aber das Urteil steht im Grunde schon vorher fest: Er trägt Schuld und er ist ein Täter. Für Lien gilt der krasse Gegensatz. Man sieht sie mit Kindern spielen und erlebt, dass sie sich – Achtung, Grau-Stufen-Rassismus – ebenso von „den Zigeunern“ distanziert wie viele Deutsche, aber dennoch bleibt sie immer das Opfer, auf den sich der Hass der Randalierer konzentrieren wird.

Regisseur Burhan Qurbani. Foto: Zorro Film

Regisseur Burhan Qurbani. Foto: Zorro Film

Die Schwäche dieser Pauschalisierung, in der alle Figuren schlussendlich gleich schablonenhaft gezeichnet sind – allen voran Stefans Vater, der alle Klischees des duckmäuserischen Intellektuellen verkörpern muss – ist nicht von der Hand zu weisen. Eine genaue Problemanalyse, ein Zurückkehren zu den Wurzeln des ausländerfeindlichen Terrors bleibt damit auf der Strecke. Ebenso die genaue Betrachtung des Schaulustigen, der die Dinge geschehen lässt und sich damit gleichsam schuldig macht. Das ist sehr schade und ein großes Versäumnis des Films, der beispielsweise die Schockstarre der Dokumentation „The Truth Lies in Rostock“ (siehe nächste Seite) mit einer nachfassenden Betrachtung hätte ergänzen können.

Lien (Trang Le Hong) arbeitet als vietnamesische Vertragsarbeiterin in einer Wäscherei in Rostock. Foto: Zorro Film

Lien (Trang Le Hong) arbeitet als vietnamesische Vertragsarbeiterin in einer Wäscherei in Rostock. Foto: Zorro Film

Auch ein starkes Urteil kann manchmal aufklärerisch wirken. So mahnt „Wir sind jung. Wir sind stark“ eindringlich, nicht zu vergessen. Zu vergessen, dass zwischen dem 22. und dem 26. August 1992 ein riesiger, um die 3.000 Menschen umfassender, Mob aus Neonazis und Schaulustigen das Sonnenblumenhaus belagerte, mit Steinen und mit Molotowcocktails schmiss, als gerade eine hoch emotionale Asyldebatte kochte. Dass die Polizei zuerst nicht eingriff, ja, sich zurückzog und die Bewohner zeitweise ihrem Schicksal überließ. Dass im Anschluss an das Pogrom das Asylrecht verschärft wurde. Im besten Falle kann eine solche Mahnung eine intuitive Abwehrreaktion erzeugen, ein ernstes und ernsthaftes „Nie wieder“. Und das ist eine Haltung, die es bei aller Ursachenergründung rassistischer Reflexe und Äußerungen in Zeiten von PEGIDA und einem immer salonfähiger werdenden „Das wird man doch mal sagen dürfen“ zu bewahren und zu bekräftigen gilt, wenn man Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und alle die anderen symbolhaften Ereignisse nicht wieder in Kauf nehmen will. Qurbani selbst, so scheint es, ist da pessimistischer. In der Schlussszene winkt Lien den Flaschen sammelnden Kindern freundlich zu. Ein Kind bleibt stehen und schaut sie lang an. Dann schmeißt es einen Stein.

Marie Ketzscher

Wir sind jung. Wir sind stark.„, Regie: Burhan Qurbani, DarstellerInnen: Jonas Nay, Joel Basman, Devid Striesow, Saskia Rosendahl, Tran Le Hong, Thorsten Merten, Axel Pape, Kinostart: 22. Januar 2015, auf DVD ab 24. Juli 2015

Weiterführend:
Der oben genannte Dokumentationsfilm The Truth Lies in Rostock“ (hier zu sehen) aus dem Jahr 1993 von Mark Saunders & Siobhan Cleary ist in Gänze auf Youtube zu sehen. Polemisch? Ja, aber durchaus wichtig, gerade durch die zeitliche und emotionale Nähe zum unmittelbar Geschehenen. In voller Länge auf der nächsten Seite…

DVD- GEWINNSPIEL

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