Herr der Entscheidung: Ein „Shoot & Run“- Bericht


Joris Juror

Joris Juror

Zu erst flackerte „The Good, the Bad and the Hase“ semi-professionell drauflos. Eine Frau im Hasenkostüm sinniert über frühes Aufstehen, schwarzen Kaffee und Möhrchen. Ein Räuber verteilt sein außergesetzliches Nebeneinkommen: „Ein Zwani für den Bunny.“ Und ein Philosoph versteckt die Weisheit in einem Koffer und sitzt insolvent auf einer Parkbank. Die Kalauerdichte dieses Streifens dürfte bei zwei pro Sekunde liegen und auch ansonsten war der Film schenkelklopfend kurzweilig. Punkteverteilung meinerseits wie folgt: Genre eins, Kreativität fünf, Technische Umsetzung sechs und Bezirk vier. Zusammen 16 Punkte.

Danach parierte „Vorglühen„. Der kleine Streifen mit einer grauenhaften Audiospur lancierte zwischen einer mitwirkenden und beobachtenden Dokumentation. Sein Gespür für die Perspektivvergabe und den Schnitt war gelungen und es ist schade, dass man sich bei der Audioerfassung nicht mehr bemühte. Es artete regelrecht in ein Ratespielchen aus, worum es bei dem Vorglühen denn nun eigentlich ging. Erkennbar wurde ein Boxkampf verfolgt und das Thema Krebs wurde in einem Küchengespräch kurz angerissen, ansonsten wurde freilich getrunken und das Wort Alter der Konvention entsprechend zweckentfremdet. Ich notierte: Genre fünf, Kreativität zwei, Technische Umsetzung drei und Bezirk eins. 11 Punkte.

Journey to the Center of Berlin“ war mir sofort sympathisch. Die Idee, ein Roadmovie seines Pathos zu entledigen und den Selbstfindungsscheiß durch narzisstische Kränkungen auf die Schippe zu nehmen, war in seiner Stringenz amüsierend. Ein amerikanischer Tourist reißt vom Hauptbahnhof zum Alexanderplatz. Erst mit der Regionalbahn, danach mit der S-Bahn. Er steigt bei jeder Station kurz aus, um „Wow“ und „Yeah“ zu sagen. Schließlich ist nach fünf Minuten Spielzeit seine Reise bei der Weltzeituhr zu Ende. Da wird aber einer eine Menge über sich selbst in Erfahrung gebracht haben! Der Zettel lag auf meinem Schoss und ich kritzelte: Genre sechs, Kreativität sieben, Technische Umsetzung fünf und Bezirk fünf. Nach Adam Riese sollten es 23 Punkte sein.

Schnell begriff das Juriorenteam worauf es wirklich ankam: Unsere Vorträge auf der Bühne, unsere Gestik muteten unprofessionell an, aber nicht stümperhaft. Wir hatten Glamour, aber keine Allüren. Veranstaltungen wie diese funktionieren freilich nur, wenn sich die Organisatoren und die unparteiischen Dritten mit den abgekauten Kulis in der ersten Sitzreihe sich nicht als gottgleiche Zeremonienmeister aufspielen. Wir gingen dahin, wo es wehtat: Wir schauten uns die Filme an. Nach einer kurzen Unterredung mit meinem Jury-Kollegen (Wir waren nur zwei. Nummer drei war verhindert.) kamen wir zu dem Entschluss, das „Journey to the Center of Berlin“ den Hauptpreis einer dreimonatigen Flatrate beim Roderich verdient habe. Damit standen wir zwar in explicatio zum Publikum, welches mit überragender MehrheitThe Good, the Bad and the Hase“ favorisierte, aber auch da hatten die Veranstalter vorgesorgt. Es gab natürlich auch einen Publikumspreis: die Präsenz im World Wide Web auf der Veranstaltungswebsite.

Neben Web 2.0 Plattformen leisten Filmfestivals die meiste Öffentlichkeitsarbeit für Neuerscheinungen und übernehmen damit weitesgehend den traditionellen TV- und Kinomarkt. Während sie in der Vergangenheit ein Marktplatz darstellten, wo die kommerziellen Anwendungsbereiche ausgelotet wurden und dennoch nur ein kleines Publikum erreichten, generieren sie heute  eine Öffentlichkeit und werden so zum wichtigsten Marketinginstrument im Lichtspielzirkus. Fortan gehört es zur Selbstverständlichkeit das neue Streifen sowohl einem Publikum als auch als digitales Backup jederzeit und simultan abrufbar sind. Wie schön, dass man als Zuschauer davon nur profitieren kann und eine Jury genau genommen entbehrlich ist.

Joris J.

Infos zum nächsten Workshop im April und zum kommenden Screening auf http://shootandrun.de

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