achtung Berlin 2011: Festivalbericht


Filmszene: "Amiga Cocktail", Foto: www.franke-echo.de

Filmszene: "Amiga Cocktail", Foto: www.franke-echo.de

Beat-Musik

Im November 1964 fand im Berliner Friedrichstadtpalast die zwölfte Ausgabe des „Amiga Cocktail“ statt, eine Musik-Revue der staatlichen Plattenfirma Amiga, live übertragen. Neben bekannten Schlagersänger traten hier auch ostdeutsche „Beat“-Bands wie die Sputnicks und das Franke Echo Quintett auf. Es sollte die letzte Live-Übertragung dieses Formats sein, denn während die Stars der Schlagerszene mit zurückhaltenem Beifall gewürdigt wurden, kochte der Saal, als das Franke Echo Quintett spielte. Vanna Olivieri, die erstaunliche Contenance bewies, wurde dagegen ausgebuht. Der zwölfte Amiga-Cocktail war eine Zäsur im sozialistischen Fernsehen, denn es war der letzte. Die Darbietung von Beat-Musik im Fernsehen der DDR wurde untersagt. Im Grunde ist dieses Stück Fernsehgeschichte im Kino nicht aufführbar. Das Material hat die Zeit sichtbar schlecht überstanden. Das Bild flackert, die Konturen der Protagonisten sind kaum erkennbar. Und dennoch spricht diese Aufführung im Rahmen der Retrospektive „Musik-Stadt-Film“ für die vergangene Ausgabe des achtung berlin-Filmfestivals. Denn geht es um achtung berlin, wird oft von eine Art „Leistungsschau der Berliner und Brandenburger Filmlandschaft“ gesprochen. Sicher, die Hauptstadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer Filmmetropole entwickelt, die in zahlreichen Produktionen ihre Vielfalt und Vitalität versprüht. Bei achtung berlin aber geht es nicht um Leistungsfähigkeit oder Kraftmeierei – es geht um das Experiment, die Abwechslung, und darum, dem Nachwuchs ein Podium zu sein. Da sind Schwächen durchaus akzeptabel, nein, sogar vorprogrammiert. Schließlich geht es um den Prozess, nicht um das formvollendete Produkt.

Die wohl größte Aufmerksamkeit im Vorfeld des Festivals konnten die beiden Brüder Jakob und Tom Lass (sowohl Schauspieler und Regisseure) für sich verbuchen. Beide waren mit einem eigenen Film im Wettbewerb vertreten und beide haben einen großen Hang zur Lässigkeit, das, was Berlin als Kreativzentrum auch gern unterstellt wird. „Frontalwatte“ von Jakob Lass ist mehr Improvisations-, denn Spielfilm. Und darin sehr gut. Seine Protagonisten irrlichtern durch dieses oftmals so merkwürdige Berlin. So entwickelt Franz diebische Freude daran, sich Luxus-Lofts zeigen zu lassen, um dort so lange den Sonnenuntergang zu genießen, bis ihn der genervte Yuppiemakler rauswirft, nachdem er sich auf ein erotisches Techtelmechtel mit der älteren Ursula eingelassen hat, die ihrem Sohn Adrian deutlich mehr als die übliche mütterliche Zuneigung entgegenbringt. Ein kurzer, klug bebilderter Trip durch ein aufregendes Berlin, der ein großes Talent bei allen Beteiligten offenbart.

Filmszene: "Frontalwatte"

Filmszene: "Frontalwatte"

Bei Tom Lass dagegen dreht sich im Leben seines Protagonisten Denny, den er praktischerweise gleich selbst spielt, alles um seine munter wechselnden Frauenabenteuer. Kaum ist die eine aus dem Haus, trifft, knutscht und vögelt er ungeniert die nächste. Schuldgefühle oder gar Reue plagen ihn nicht, bis sich Frank, der zweite Ehemann seiner Mutter, wie er sich vorstellt, in sein Leben drängt. Der hat sich vorgenommen die beiden zu versöhnen – und so ganz nebenbei seine Ehe zu retten. Auf die beiden wartet ein harter Weg voller Situationswitz um das ungleiche Sohn-Stiefvater-Doppel. Entstanden ist dieses Kleinod dank des unermüdlichen Einsatzes von Papa-Frank-Darsteller Peter Trabner, der unbedingt ein von Tom Lass produziertes Demo-Band wollte. Lass sah darin wenig Perspektive und steckte das Geld in die Produktion von „Papa Gold„, an deren Ende dieser bemerkenswerte, temporeiche und trotz seines Spiels mit dem hiesigen Lifestyle nie öde Berlinfilm stand.

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