achtung berlin 2011: Gedanken zur Musik- Retrospektive


Filmszene: "Berlin Now"

Filmszene: "Berlin Now"

Ein Streifzug durch die Musik der Stadt

In Zeiten, in denen sich so etwas wie Szenezugehörigkeit als vestimentärer Schnick-Schnack entpuppt, erübrigt es sich die Überlebenden zu zählen. Es ist jedoch interessant, was diese Überlebenden berichten. Was bewegte sie, was trieb sie (vor)an? Arbeitet man ihr Leben dokumentarisch auf, stellt man fest, dass ihr Werk, Leben und Menschen viel tiefer beeinflussten, als der flüchtige Blick es wohl erahnen mochte. Gering geschätzt, aber von der Öffentlichkeit erkannt, begnügte man sich damit zu herrschen, ohne im Wesen verstanden zu sein.

Die Retrospektive des achtung berlin Festivals bot vom 13. bis 20. April Interessierten ein Potpourri aus 60 Jahren Musik- und Clubgeschichte. In Archiven Vergessenes wurde ebenso berücksichtigt, wie Klassiker der Programmvideotheken. Dabei bezog das Festival die Stadtteile Mitte, Friedrichshain und Neukölln mit den jeweiligen Spielstätten Babylon, Filmtheater in Friedrichshain und das Passage-Kino mit ein. Zur Eröffnung akkumulierten die Phantasmen des geteilten Berlins selbstbewusst und fröhlich die Sehnerven im ausverkauften Babylon. „Femini“ (1982, Petra Tschörtner) ist eine spleenige Dokumentation über eine Frauenpunkband im ehemaligen Ostberlin. Der Gleichlauf von Musikerleben und Existenzsicherung, Professionalität und staatlich verordneter Durchschnittlichkeit war nicht selten ein mit Spießern gespicktes Vergnügen – ein sympathischer, kurzweiliger Film, dem es gelang, nicht in Nostalgie zu enden. Dank der Kommentare aus dem Saal seitens der Zusehenden, geriet die Vorstellung schließlich zu einem Happening. Ein Happening, das dem Ideal von einst die Versicherung „Oh Gott wie wir damals aussahen“ abgewann.

Von der ausgeblendeten ging es zur ausgestrichenen Seite der Mauer. Der Zuschauer durfte sich in „berlin now“ (1985, Wolfgang Büld, Sissi Kelling) an den Stereotypen satt sehen, die er so sehr verkuspert: Isolierte, aber ästhetisierende Spaziergänge entlang der Mauer, abgefuckte Kneipen, sonderliche Gebäude und natürlich – wie könnte es anders sein – eine herbstliche Atmosphere. Die Bilder brillieren in ihrer Ähnlichkeit in einem solchen Ausmaß, dass sie im Grunde nur ihrem eigenen hohlen Klischee entsprechen. Ein zauberschönes Artefakt, dem es leider an Verve mangelt und den Betrachter genau genommen schnuppe zurücklässt.

Am nächsten Tag stand ein Kiezwechsel an. Im Herzen Neuköllns liegt gut versteckt das wunderschöne Passage-Kino. Man ging die Treppen hoch in den ersten Stock und wartete. Die Handlung Warten ist mit dem achtung berlin Festival fest verbunden. Man wartete eigentlich immer. Eine halbe Stunde nach dem offiziellen Spielbeginn öffnete der Vorführer schließlich den Saal. Mit oldschooligem Charme, dem anwesenden Regisseur Stefan Pethke und dem Chef von Rap.de Marcus Staiger, der ein oder anderen technischen Panne und ganzen vier Besuchern gab es drei Stunden Berlin Rap. Dabei stellte „Rap City Berlin“ (2005, Henrik Regel) die einzelnen Crews und Labels der Hauptstadt vor. Ein Werbefilm, nur leider ohne Pointen. Kurzweiligkeiten wie Goldkettenweitwurf oder Spritzpistolen-Drive Bys hätten diesen gähnenden Streifen durchaus ertragbarer gestaltet. Nachdem der Filmvorführer den Saal kurz betrat um sicher zu gehen, dass er auch tatsächlich fortfahren konnte, folgte „Royal Bunker – Gegen die Kultur“ (2004, Stefan Pethke, Nicole Rother).

Filmplakat: "Rap City Berlin"

Filmplakat: "Rap City Berlin"

Royal Bunker, das war dieses Label wo Akteure wie Kool Savas, Sido, Taktloss oder B-Tight ihre ersten Gehversuche in Sachen Sprachgesangsmusik unternahmen. Und so geht es um den Aufstieg und Fall des Berliner Labels, dass die deutsche Hip-Hop-Kultur Ende der 1990er entscheidend umgestaltete. Jedoch waren von 136 Minuten Spielzeit ganze 100 selbstdarstellerisches Genöhle, ergo überflüssig. Vielleicht liegt es an der Sprache, aber deutscher HipHop mag bei mir immer nur Fremdschämen auslösen. Notorisches Fremdschämen zeigt in erster Linie, dass zu viel Energie in den falschen Teilbereich eines eigentlich viel versprechenden Ganzen gesteckt wurde. So gibt es in Frankreich Akteure wie „Programme“, in den USA „Dälek“ oder „Tyler, the Creator“. Die gesamte britische Grime-Bewegung fand in Deutschland nie Einzug. Egal wie oft man die Dreifaltigkeit des Battle-Rap Arsch, Muschi, Fotze auch gebrauchen mag, es ist und bleibt eine Subversion des Universalen durch eine Aktion in einer Sphäre, die sich in ihrer eigenen Lobhudelei erschöpft. So waren die drei Stunden dermaßen unreflektiert, dass man die Qualität der Filme nur mit matt titulieren kann.

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