Interview mit den Alfilm-Machern

"Arabischer Frühling" im Herbst


Filmszene: "18 Days", ©ALFILM

Filmszene: "18 Days", ©ALFILM

Gilt das für die breite Bevölkerungsmasse oder nur für die Oberschicht?
Abdelnour: Natürlich blieb das erst einmal nur der Mittel- und der Oberschicht vorbehalten, weil eben nur sie Zugang zu diesen Medien oder auch zu den Kulturzentren hatten. Das hat etwas mit den Kulturstrukturen in den Ländern zu tun und mit der Frage, an wen die Filme gerichtet waren und wer darauf zurückgreifen konnte. Wenn die Unterschicht von vornherein ausgeschlossen wird, hat sie natürlich auch kein Interesse an diesen Dingen. Erst in den letzten zehn Jahren hat sich z.B. in Ägypten einiges geändert. Man hat sich mit dieser Ausgrenzung beschäftigt und versucht ihr mit integrativen Programmen entgegenzuwirken. Man brachte z.B. Kunst und Musik in die Slums.

Wie wichtig sind Kino und Film in der arabischen Welt, von der man, weil sie so viele verschiedene Nationen umfasst, als einer solchen Einheit vielleicht gar nicht sprechen kann?
Abdelnour:  Doch, es ist in jedem Fall ein gemeinsamer Kulturraum, der sich auch über eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl definiert. Was man hier häufig nicht weiß, ist, dass der gesamte arabische Raum lange Zeit eine sehr starke Filmindustrie hatte. Besonders Ägyptens Filmindustrie geht bis in die 20er Jahre zurück. Die Stars sind in allen arabischen Ländern bekannt und die Filme sind bis heute sehr beliebt, bei allen Generationen. Natürlich stehen hier die Filmindustrien Ägyptens, Algeriens, des Libanons und Syriens an erster Stelle.
Romdhane: Film spielt eine große Rolle. Es gab viele Kinos überall in der arabischen Welt. Allerdings ist hier eine kommunale Förderung von Kinos weitestgehend unbekannt. Außerdem ist mein Eindruck, dass es eine Wechselwirkung mit der Verhärtung von politischen Systemen gab, nach dem Ende der Kolonialzeit, wo sich viele politische Systeme in Richtung Diktatur entwickelten.

Das heißt?
Romdhane: Es gab viele Einschränkungen, natürlich auch politisch motivierte. Aber auch das Kinosterben in den 80er und 90er Jahren, zum Teil hervorgerufen durch die fehlende kommunale Förderung, trug dazu bei, dass weniger Filme gezeigt wurden und das man schlechter Zugang zu bestimmten Filmen hatte.

Wie steht es unter diesen Umständen mit der Bewahrung des filmischen Erbes?
Romdhane: Es gibt auf jeden Fall ein Bewusstsein für das kinematographische Erbe und beispielsweise in Syrien, Ägypten und anderswo nationale Filminstitute.
Abdelnour: Aber in solchen Ländern, wo sich der freie Markt mit diesen diktatorischen Strukturen vermischt, spielt natürlich Korruption immer auch eine große Rolle. Da wird dann irgendwann alles vernachlässigt, darunter auch Filme. Deshalb existieren einige wertvolle Filme heute nicht mehr. Sie sind einfach verschollen. Die Interessen solcher Regierungen lagen darin, die reichen Klassen zu unterstützen. Bei solchen Marionettenregierungen war es häufig auch so, dass die Interessen und Forderungen von außen, der Amerikaner z.B., wichtiger waren als die des Volkes. Dadurch wurden auch Dinge vernachlässigt, die ein bisschen Nationalstolz ausmachten. Erst in den letzten fünf Jahren scheint die Filmindustrie aufgewacht zu sein. Auch wenn es an anderer Stelle dann wieder schwer wird, an abspielbare Kopien zu kommen. Wenn beispielsweise Produzenten gar nicht daran denken, dass ihre Filme auch im Ausland gezeigt werden könnten und dann immer Untertitel nachproduziert werden müssen. Das passiert übrigens gerade für unseren diesjährigen Programmfilm „Black Honey„. Da sitzen die Produzenten gerade an einer untertitelten Version, damit wir den Film in Berlin zeigen können.

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