Festivalbericht 27. Interfilm Kurzfilmfestival

Sich treiben lassen


Interaktion

220 internationale und deutsche Filmemacher tummelten sich in diesem Jahr auf dem Festival und gern hätte man als Zuschauer direkt nach einem Film die Möglichkeit gehabt, dem einen oder anderen Regisseur ein paar Fragen zu stellen. Nicht immer war das möglich, standen die Moderatoren der einzelnen Filmsektion vor dem Publikum und entschuldigten die Abwesenheit der Filmteams. Das ist insofern bedauerlich, da das Festival sich als einen interaktiven Ort begreift, bei dem sich einerseits Filmemacher vernetzen sollen, anderseits aber eine internationale Szene für das Publikum offengelegt wird, die sonst nur schwer zu verorten ist.  Überaus gelungen dagegen das Begleitprogramm, ein essentieller Bestandteil von Interfilm, das sich in jedem Jahr über die Leinwand hinaus erhebt und dem eigentlichen Sensationscharakter eines Filmfestivals, dem Wettbewerb (die Gewinner in der Übersicht), ein interdisziplinäres Lustspiel, etwa unter dem Motto „Sound & Vision“, entgegenstellt.

Was hat einen größeren Einfluss auf das Publikum: das Bild selbst oder der Ton in der völligen Dunkelheit? Wie ändert ein Klang die Beziehung des Betrachters zu einem Bild? Bereits zum zweiten Mal fand im Rahmen von Interfilm „Sound & Vision“ statt, eine Veranstaltung, bei der Kurzfilme vor Publikum neuvertont wurden. Das Event gestattete Musikern die Neuinterpretation von Bildern, indem mit Klängen die Bedeutung von Bildern geändert wurde. In der Tat bedienten sich alle Musiker verschiedenster Techniken. Jeder Kurzfilm hatte seinen eigenen Stil, und jeder einzelne war mit einer Länge von fünf bis zehn Minuten weder zu lang noch zu kurz. Perfekt, um jeden Streifen zu genießen und dabei nicht zu ermüden. Besonders in Erinnerung blieben: „How To Raise The Moon“ von Anja Struck, „Zippo“ von Stefano Sallimo und „Synchronisation“ von Rimas Sakalauskas. Anja Strucks Film ist eine düstere Stop-Motion-Puppenanimation in schwarz-weiß. Während ein kleines Mädchen auf einem Klavier schläft, bekommt sie ihre Haare von Hasen, Füchsen und anderen Tieren geschnitten. Eine sehr surreale und allegorische Welt, in der man sich wie ein kleines Kind mit den dazugehörigen Träumen, Alpträumen und unsichtbaren Freunden fühlt. Die Begleitung des Films durch ein dunkles Ambient-Stück des Projektes Elektroschmock funktionierte ausnehmend gut.

Christof Schnelle, Foto: Jekaterina Petrova

Christof Schnelle, Foto: Jekaterina Petrova

Zippo“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit Reißverschlüssen am ganzen Körper die Hälfte seiner Habseligkeiten versteckt. Die Stimmung des Kurzfilms erinnert an die berühmte Zusammenarbeit zwischen Salvador Dali und Luis Bunuel im Film „Un Chien Andalou„, untermalt wurde der Film von Post-Rock-Melodien. Sehr gelungen. In „Synchronisation“ lässt ein litauischer Regisseur Teile einer Stadt langsam in der Luft herumschweben. Der Komponist und Theatermusiker Christof Schnelle strukturierte das mit seinen Trip-Hop-Electro-Rhythmen zu einem bewegenden Fest um. Die Blaskapelle Porn Hipe vollführte eine komische Interpretation kriechender Spinnen und erneut funktionierte die Interpretation so gut, dass man sich fragte, was ist eigentlich der originale Soundtrack? Nur zwei der Kurzfilme des Programms können auf YouTube gefunden werden: „Love & Theft“ von Andreas Hykade und „Kwadrat“ von Zbigniew Rybczynski.

In „Love & Theft“ ist der Soundtrack eher fröhlich und verspielt, bei der Neuinterpretation von BITGEWITTER am Freitagabend war es Electro-Punk. Dennoch endeten beide Varianten in einem ähnlichen Schlagzeug-Gitarren-Brei. Bei „Kwadrat“ ist die ursprüngliche Musik getragen von Perkussion und schnaubenden Stimmen – experimentell, minimal und subtil. Christopher Zitterbart transkribierte es zu einer einfachen und weichen Gitarrenmelodie. Eines ist klar, der Klang ändert die Atmosphäre eines Films und es ist gleich, ob die Bilder hektisch oder elegisch begleitet werden, die Szene lustig oder traurig ist, die Musik entscheidet, wie das Gehirn auf ein Bild reagieren wird. Jeder der neuorchestrierten Kurzfilme verdiente darum den langandauernden Applaus – so wie vieles, dass in diesem Jahr beim 27. Interfilm-Kurzfilmfestival zu sehen war. Mit Spannung blickt man auf das kommende Jahr.

Cosima M. Grohmann, Jekaterina Petrova, Martin Daßinnies

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