Festivalbericht Pornfilmfestival 2011
Gerammeltes Kino
„Sonst war Samstag immer der publikumsstärkste Tag. Dieses Jahr hat bereits der Donnerstag die Zahlen überstiegen„, verkündet Claus Matthes, hektisch, überrascht und raucht schnell noch eine Gauloises ohne Filter. Am Sonntagabend dann die Gewissheit: Das Pornfilmfestival 2011 hat alle Besucherrekorde der vergangenen Jahre gebrochen. Wie es ausschaut, wenn ein Kino, klein und vertrackt wie das Moviemento, von Dutzenden im Stundentakt übernommen wird, lässt sich anhand eines themennahen Gleichnisses erklären: Verschlungene Menschen, viele davon aufgekratzt, erwartungsvoll, bereit zu geben – Aufmerksamkeit, Geduld, Applaus, Lust, Pornfilmfestival in Kreuzberg und die pulsierende Orgie einströmender Besucher.
Bereits der Eröffnungsabend mit Christophe Honorés schwulem Beziehungsdrama „Man at Bath“ füllt alle drei Säle bis auf den letzten Platz, es gibt Wartelisten und eine kleine Ticket-Tombola in der Lounge. Ansonsten nimmt man es nicht so eng: Während der Vorstellungen herrscht ein stetes Kommen und Gehen, Leute setzen sich auf den Boden oder die kleinen Bänke an den Seiten, ständig floppt eine Tür auf und öffnet sich wieder. Musik aus dem Foyer dringt in den Raum, Gelächter, leere Bierkisten stehen auf dem Boden und das durchgehende Geräusch der Kühlschränke erzeugt ein unterschwelliges Brummen. Vor Filmbeginn kommt zuverlässig der oberkörperfreie Jüngling, um Getränke und Snacks aus seinem Bauchladen zu verkaufen. Man fühlt sich aufs charmanteste versorgt. Die Atmosphäre ist locker, hier und da ein Smalltalk, Mutmaßungen über die sexuelle Orientierung der Person zwei Meter links, Abgechecke, Begutachtung der ausgestellten Genitalien und Körper auf kunstvoll inszenierten Großformat-Drucken, die in jeder erdenklichen Ecke des Kinos hängen. Die Toilettenordnung ist für die Tage des Pornfilmfestivals ausgehebelt, es herrscht Unisex.
Am ersten Festivaltag verirrt sich unser Autor Joris J. in die schwülen Hallen, auf der Suche nach dem Asian Film Festival. „Was ist das denn?!„, starre Mine, Entsetzen, fort ist er. Dass die Tage vom 26. bis 30. November oft alles andere als visuelle Streicheleinheiten sind, beweist wohl kein Film eindringlicher als Todd Verows Dokumentarfilm „Bottom X„: Ein fanatischer Sammler, unterwegs in NYC-Hardcore-Gay-Scene, auf der Suche nach „cum“ und „loads“, der möglichst größten Menge Sperma von möglichst vielen unterschiedlichen Männern einsammelt. Teilweise vierzig Ladungen pro Nacht. Zusätzlich dann noch gefundene Kondome aus Videokabinen, die mithilfe eines gynäkologischen Instruments in die unendlichen Tiefen des anonymen Protagonisten geträufelt werden – ein grenzwertiger Filmmoment. Dennoch breitet sich unter den Zuschauern eine seltsame Faszination zwischen Ekel, Ungläubigkeit und gebanntem Leinwand-Starren aus. Verows Film funktioniert ohne ein einziges Gesicht, alle Stimmen sind bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, 95 Prozent der Einstellungen bestehen aus Ärschen, Schwänzen und Ejakulat. Dazu einige dramatisch-düstere Endzeitsounds in digital und Foucault/Tolstoi-Zitate als intellektueller Rahmen, bevor das große Sammeln beginnt. Nach der Vorführung ist es für ein paar Sekunden still, bevor das anschließende Frage-Antwort-Spiel in eine Diskussion über Safer Sex, die Identität des Cumdump und Verows eigene Rolle in „Bottom X“ mündet.