sehsüchte-Festivalbericht 2012

Rotkäppchen in Potsdam


Filmszene: "Energieland" von Johanna Ickert

Filmszene: "Energieland" von Johanna Ickert

Wer nichts gedreht, dafür aber etwas zu Papier gebracht hatte, wurde in den Kategorien Drehbuch und Pitch! auch berücksichtigt. Als bestes Drehbuch konnte sich Gisèle Sabina Mbamas Geschichte „Pauls Alptraum“ behaupten, in welcher ein Mann von seiner Vergangenheit als Pädophilie-Opfer eingeholt wird. Den Preis für den Pitch! bekamen Miriam Bliese und Laura Lackmann für ihr Storykonzept „Frauenprobleme“, dessen Beschreibung sich aber eher nach einer lauwarmen SAT1-Komödie anhört, in der zwei völlig unterschiedliche Frauen durch die verschlungenen Wege des Schicksals dicke Freundinnen werden. Es ist durchaus möglich, dass die Idee sich auch aufgrund ihres hypothetisch geringen Produktionsaufwands und ihrer Massentauglichkeit durchgesetzt hat, aber ein fachkundiges Urteil sei an dieser Stelle lieber Spezialisten wie Jörg Schneider vom Kleinen Fernsehspiel und Stephan Abarbanell vom rbb überlassen, die schon am Pitch!-Tag die Siegerinnen kürten, während viele andere tolle Ideen leer ausgingen.

Noch mehr verwunderte allerdings die Entscheidung der Jury bei der Vergabe des Fokus-Preises. Zwar trafen die Juroren mit dem soliden und interessanten Beitrag „Behind the Screen“ von Stefan Baumgartner, der von den globalen wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismen der Computerindustrie berichtet, sicherlich nicht die schlechteste Wahl. Allerdings war es etwas fraglich, warum ein handwerklich besserer und obendrein noch lokal verankerter Film nicht über die Lippen der Linken Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau ging: „Energieland„.

Johanna Ickerts Beitrag thematisiert mit objektiven bis ironischen Bildern den Konflikt zwischen Öko-Aktivisten und dem Energiekonzern Vattenfall, der im Raum Oderbruch ein unterirdisches CO2-Endlager einrichten wollte. Dass der Vorschlag zum Thema Nachhaltigkeit und damit auch das Preisgeld von 2.500 Euro vom Bundestag selbst gekommen ist, daran ist zunächst nichts Merkwürdiges. Allerdings geriet die Regisseurin – wie eine Kommilitonin Ickerts zu berichten weiß – nach Abschluss des Films in die Kritik, sowohl auf Seiten der Aktivisten als auch bei Vattenfall, denn die hatten sich eigentlich von der Kooperation mit der HFF einen Werbefilm erwartet, auch als Ickert sich vorab für eine uneingeschränkte Meinungsabbildung aussprach. In dem Film taucht außerdem Brandenburgs Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten Ralf Christoffers von der Linken auf und wird von den Aktivisten als Wirtschaftslobbyist an den Pranger gestellt. Zusammenaddiert erwecken diese Umstände den Eindruck, als sei ein politisch unbequemer Film des Sieges nicht würdig, zumal „Energieland“ direkt im Anschluss an die Gewinnerbekanntgabe eine „lobende Erwähnung“ der Jury davontrug.

Nach zwei Stunden Programm fällt man dann schließlich etwas erschöpft in den Sitz des Shuttlebusses und lässt sich ein letztes Mal zur HFF kutschieren, wo einen – wie könnte es anders sein – schon wieder Gratis-Rotkäppchen-Sekt erwartet. Nach dem zweiten Glas wird es Zeit, von einem anstrengenden, facettenreichen, besonderen, luxuriösen und feucht-fröhlichen Festival Abschied zu nehmen. Es ist Nacht. Eine junge Frau in blauem Kleid irrt verängstigt durch einen dunklen, einsamen Waldweg. Bedrohliche Schatten von Mördern und Monstern zeichnen sich auf den Bäumen ab und verfolgen sie. Doch der Held im Spandex-Anzug will einfach nicht auftauchen. Nun aber Schluss mit Rotkäppchen und Schluss mit dem Sekt! Da vorne ist schließlich schon die S-Bahn-Station. Potsdam, es war schön mit dir.

Alina Impe

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