Rückblick auf die 50. Viennale

Haltung annehmen, bitte!


Als Haltungsfilm könnte man auch den Dokumentarfilm „5 Broken Cameras“ (PA, ISR , NL, 2012) bezeichnen, mit dem der palästinensische Hobbyfilmer Emad Burnat zusammen mit Guy Davidi (seinerseits Israeli) die Verdrängung seines Dorfes Bil’in durch die israelische Siedlungspolitik dokumentiert. Fünf Kameras filmten das Heranrücken der Bauwägen und die Mauer, die brennenden Olivenhaine, die Verzweiflung. Alle fünf wurden sie während der friedlichen Demonstrationen zergeschossen oder anderweitig beschädigt. Festnahmen, Verletzungen und ein Todesopfer – Burnat hätte kein klareres Plädoyer für einen sofortigen Siedlungsstopp schaffen können. Und trotzdem bleibt im Zuschauer ein ambivalentes, beklemmendes Gefühl zurück. Die Aggression der Demonstranten, die Kamera, mit der Burnat filmt, die ihn aber auch oft selbst zeigt, die teils uneindeutigen Kameraperspektiven – „5 Broken Cameras“ ist vielleicht doch zu persönlich (aus dem Off kommentiert Burnat zusätzlich Leben, Liebe, Freundschaft) und zu polarisiert, um einen uneingeschränkt für sich einnehmen zu können.

Im Gegensatz zu „5 Broken Cameras“ erschöpft sich Romuald Karmakars „Angriff auf die Demokratie – eine Intervention“ (D, 2012) in der Beschwörung einer vermeintlichen politischen Position. Im Programmheft verwirrenderweise als wichtige Momentaufnahme der Krise in Europa beschrieben, bietet Karmakars Film nicht viel mehr als die 1:1 Wiedergabe der gleichnamigen Veranstaltung, die am 18.11.2011 im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand. Mag sein, dass manche Gedanken vor einem Jahr noch eine andere Wirkmächtigkeit genossen haben – nun mehr aber, ein Jahr nach den großen Occupyprotesten, wirkt der Film schon angestaubt. Karmakars eigener Beitrag zum Symposium ist ein Kurzfilm, der Ziegen auf einer Wiese zeigt. Dem Herdentrieb folgend, verlassen alle Ziegen das Bild, sobald die erste losläuft. Dieser Symposiumsbeitrag ist in etwa so innovativ wie das ganze Filmprojekt, bei der eine Intervention des Regisseurs im Sinne einer eigenen künstlerischen Haltung und Leistung dringend von Nöten gewesen wäre.

Wo die Doku „Angriff auf die Demokratie“ völlig unmotiviert wirkt, ist Amir Bar-Levs Grammy-Produktion „Re-Generation Music Project“ (US, 2012) einfach nur ärgerlich. Fünf weltberühmte DJ-Größen  – Mark Ronson, The Crystal Method, Pretty Lights, Skrillex und DJ Premier – nehmen an einem musikalisches Experiment teil: Alle fünf bekommen ein Musikgenre sowie dazugehörige Experten/Stars zugeteilt, mithilfe derer sie einen eigenen Song komponieren sollen. Der Narzissmus eines Mark Ronson, der Autismus eines Skrillex, die Einfallslosigkeit von The Crystal Method und die Lethargie eines Pretty Lights – allesamt zu uninteressant für die Kamera. Nur DJ Premier sorgt für Lichtblicke. Sein Enthusiasmus für die klassische Musik wirkt aufrichtig, seine Mühen sehenswert. Die Credits zu The Doors „When the Music’s Over“ verdeutlichen, was man den ganzen Film über vermisst hat: eine originelle Idee.

"Electrick Children": Die schicksalshafte Absurdität der unbefleckten Empfängnis, Foto: Viennale

"Electrick Children": Die schicksalshafte Absurdität der unbefleckten Empfängnis, Foto: Viennale

Neben (Musik)Experimenten und Parodien standen auch Feel-Good-Movies auf dem Programm, die durchaus das Zeug zu Publikumslieblingen haben, wie zum Beispiel Rebecca Thomas‘ „Electrick Children“ (US, 2012). „The voice on the tape recorder got me pregnant. It’s a miracle.“ Rachel lacht breit und die Locken auf ihrem Kopf ringeln sich unschuldig. Und wir glauben ihr, weil Julia Garner sie so herzzerreißend spielt, dass man gar nicht wegschauen kann. Rachel ist Mormonin, 15 und wird schwanger, als sie heimlich ein Rock ’n‘ Roll-Lied hört. Für sie ist die Sache klar: Der Sänger von „Don’t leave me hanging by the Telefone“ (The Nerves) ist der Vater des Kindes; dazu bestimmt, sie zu heiraten. Es folgt die Rebellion, sprich: die Suche nach ihrem zukünftigen Ehemann. Es ist die große Stärke von Rebecca Thomas‘ Debüt, dass es die schicksalshafte Absurdität der unbefleckten Empfängnis den ganzen Film über beibehält. Dazu passen auch die oft sphärisch-verträumte Bildersprache und Rachels Tonbandaufnahmen, die die Entwicklung des Plots aus dem Off narrativ begleiten. Nicht zuletzt ist „Electrick Children“ ein stilles und zärtliches Indie-Roadmovie, das davon absieht, die Glaubensfrage zugunsten eines festen Weltbildes zu beantworten. Damit passt „Electrick Children“ im Grunde auch zum gesamten Viennale-Filmprogramm, das sich neben großem Autorenkino auch die Kurzfilm-Experimente einer Narcisa Hirsch leistet. Und wenn man programmbetäubt und endgültig nicht mehr aufnahmefähig aus dem letzten Film der Viennale taumelt, dann legt am letzten Abend natürlich noch kein Geringerer als Mike Skinner von The Streets auf. Wo geht das schon, wenn nicht auf der Viennale?

Marie Ketzscher

Viennale-Filmkritiken:

Searching for Sugar Man“ von Malik Bendjelloul

Berberian Sound Studio“ von Peter Strickland

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