Festivalbericht zum 6. British Shorts Filmfestival

Über kurz oder lang bei den Briten


"A Gun For George": Ein gescheiterter Krimiautor mit 70s-Popelbremse.

"A Gun For George": Ein gescheiterter Krimiautor mit 70s-Popelbremse.

Andere wiederum wollen gar nicht erwachsen werden, wie etwa Roland aus „Scouting for Rudeboys“ (Joe Tucker), der nach jahrelanger Treue zu seinem Pfadfinderverein aufgrund des Alterslimits schließlich rausgeworfen wird und daraufhin ein paar Ghettoboys von der Straße rekrutiert. Eben noch in Hoodies und Baggypants, nun in fescher gelb-grüner Uniform, sorgte Rolands neuformiertes Team für die ersten Lacher beim Screening vor der Preisverleihung im Ballhaus Ost am vergangenen Sonntag. Auch hier kam wieder die 80er-Nostalgie zum Vorschein, denn im Ballhaus scheint sich seit Erich nichts verändert zu haben. Die Holzstühle sehen nach längst vergessenen FDJ-Versammlungen aus und ein Onkel Heinz aus „Sonnenallee“ hätte vermutlich sofort empört „Überall Asbest!“ gejammert. Selbst der Wein schmeckt irgendwie alt, zumindest der erste. Ja, das stimmt, finden auch die beiden Barkeeper an der Theke und machen lieber gleich ‘ne neue Flasche auf. Schon besser. Trotzdem will die Retrowelle nicht so recht abreißen, als mit „A Gun for George“ (Matthew Holness) ein in 8mm gedrehtes Masterpiece sich vor den Augen der Zuschauer entfaltet: Terry Finch, ein gescheiterter Krimiautor mit 70s-Popelbremse, revisioniert sich selbst als ein von Rache erfüllter „Reprisalizer„, der Gangstern, Verlegern und Bibliothekaren mit Waffengewalt einen moralischen Arschtritt verpassen will. Doch auch Vergeltung will gelernt sein und deswegen kann sich Terry zukünftig noch eine Scheibe von Michael Fassbender abschneiden, der in „Pitch Black Heist“ (John Maclean) zeigt, wie man‘s richtig macht. Zusammen mit einem etwas betagteren Gangster will er eine Bank ausrauben, nur leider weiß dieser wiederum nicht, dass er mit dem eigenen Sohn den Coup durchzieht und am Ende bitterböse für sein vorzeitiges Abdanken als Vater von Michael bestraft wird.

Die Rache kommt immer zum Schluss und das muss auch der Briefträger aus „82“ (Calum Macdiarmid) erkennen, der in Gedanken Hasstiraden auf seinen Verteilerbezirk singt, bis die Anwohner ihm hinter verschlossenen Türen schließlich die Quittung dafür geben. Postmänner sind einem nie ganz geheuer, weder die, die zweimal klingeln, noch die, die gar nicht klingeln; das finden zumindest die beiden alten sprechenden Ohrenbackensessel aus dem Animationsshort „Ever Hear A Postman Whistle“ (Bexie Bush), die sich lebhaft an alte Zeiten erinnern. Aber das damals alles besser war, ist natürlich absoluter Quatsch und das schlimme Erinnerungen genauso wichtig sind, brachte „Abuelas“ (Afarin Eghbal) am Ende des Abends den Jury-Preis ein. Ebenfalls animiert, erzählte die Doku „Abuelas“ von einem während der 1970er unter Militärregime stehenden Argentinien, in dem hunderte von schwangeren Frauen entführt und getötet wurden, um deren neugeborene Kinder zur Zwangsadoption freizugeben. Zu Recht erkannt von der Jury bestehend aus Regisseurin Cynthia Beatt („The Invisible Frame„), Schauspieler Axel Hartwig („Puppe, Icke und der Dicke„) und Filmemacher George Lindt, um den man schon beim In-Edit Musikfilmfestival nicht herumkam, ist „Abuelas“ ein Film, der auf berührende Weise ein menschenrechtliches Desaster und zeitgleich eine familiäre Tragödie in den Fokus rückte. Und es ist ein Kurzfilm, der – um abschließend mal ein bisschen Selbstkorrektur walten zu lassen – anscheinend doch imstande ist, eine lange und große Geschichte zu erzählen. Nur kein Neid, lieber Langspielfilm.

Alina Impe

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