Interview mit Ali Samadi Ahadi zu “45 Minuten bis Ramallah”

"Meine Mutter wurde vom Geheimdienst verhaftet"


Ahadis "45 Minuten bis Ramallah" zeigt, wie Demütigungen an den Grenzübergängen zum Alltag gehören. (c) Zorro

Ahadis "45 Minuten bis Ramallah" zeigt, wie Demütigungen an den Grenzübergängen zum Alltag gehören. (c) Zorro

Regisseur und Grimme-Preisträger Ali Samadi Ahadi hat mit „45 Minuten bis Ramallah“ (Kinostart am 5.12.) eine bissige Schwarze Komödie vorgelegt. Im Interview erklärt er, wie Terroristen und Bomben in seine Komödie passen, stellt Bezüge zwischen seiner Hauptfigur Rafik und seiner eigenen Biografie her, berichtet darüber, dass seine Mutter im Iran als Reaktion auf seinen letzten Film „The Green Wave“ verhaftet wurde und beurteilt die politische Lage im Iran, dem Land seiner Eltern, das er selbst nicht mehr betreten darf.

Herr Ahadi, Sie selbst flohen einst wegen des Iran-Irak-Krieges im Alter von 13 Jahren nach Deutschland. In „45 Minuten bis Ramallah“ lebt die Hauptfigur Rafik im fernen Deutschland. Eine zufällige Parallele?
Ali Samadi Ahadi:
Die Geschichte ist nicht von mir. Die hat Gabriel Bornstein geschrieben, ein israelisch-deutscher Kollege. Ich mochte diese Parallelität sehr. Das, was da in den letzten 30 Jahren passiert, hat, egal wo wir in dieser Region hingucken, extreme Parallelität. Das hat damit zu tun, dass wir in einer Zeit geboren wurden, die im Grunde genommen die Hochzeit der Ideologien war.

Wie meinen Sie das?
Es war die Hochzeit des kalten Krieges, die Hochzeit der Auseinandersetzung zwischen West und Ost. Islamismus wurde seitens der Amerikaner, seitens der Engländer und Franzosen gepusht, um ein Bollwerk gegen den Kommunismus aufzubauen. In diese Zeit bin ich hineingeboren. Mit acht Jahren habe ich die iranische Revolution erlebt und die 68er letzten Endes als Gegenbewegung zu diesen Auseinandersetzungen. Sie endet im Grunde genommen mit dem Fall der Sowjetunion und dem Fall der Ostblockstaaten. Wir erleben gerade mehr und mehr den Zerfall der Ideologien. Diese Parallelität entdecken wir jetzt wieder im Arabischen Frühling, im Aufstand im Iran, in den arabischen Ländern oder auch in der Occupy-Bewegung.

Rafik, lebt weitab von seiner Familie und seinem Heimatland. Was treibt ihn an?
Man sieht das alles im Film nicht. Es zwingt die Menschen zu agieren und zu handeln, es zwingt ihn, wegzugehen. Im Gefängnis sagt er: Ich will kein Palästinenser sein. Ich will kein Israeli sein. Ich will kein Jude und kein Araber sein. Ich will Rafik sein. Das ist das Abstreifen der ganzen Ideologien, der ganzen Grabenkriege. Die sind für ihn unwichtig. Er will einfach Mensch sein. Mehr nicht.

Erschießungskommando, Terroristen, Bomben. Das sind nicht die klassischen Zutaten für eine Komödie, oder?
Das sind sicher nicht die typischen Zutaten einer Komödie. Aber es sind die typischen Zutaten des Alltags in diesem verrückten Land, in dieser verrückten Region. Diese Absurdität kommt uns ja völlig unrealistisch vor. Diese Willkür und diese unglaubliche Demütigung der menschlichen Würde, was uns übertrieben vorkommt, ist Alltag im Leben dieser Menschen. Man könnte Fragen stellen wie: Warum tust du das dem anderen an? Warum muss er nach Hause gehen, obwohl er einen Arzttermin hat? Und warum darf ein anderer durch. Wo ist die Gesetzgebung und wo die Grundlage eines menschlichen Verstands? Diese Absurdität ist ein Grundstoff für eine Komödie.

Gibt es Themen, über die man keine Witze macht und daher auch keine Komödie machen darf?

Mit Charlie Chaplins „Der große Diktator“ ist das ad acta gelegt. Er hat das nicht posthum gemacht, wie bei „Das Leben ist schön“ oder „Zug des Lebens„. Er hat während des Krieges, während Nazi-Deutschland Juden getötet hat, diese bittere Komödie gemacht. Er hat bewiesen, dass man das tun kann. Es ist wichtig, über Dinge lachen zu können, die uns gerade schmerzen oder willkürlich erscheinen. Damit öffnen wir die Herzen und sind dadurch empfänglich für einen Dialog. Wir geben der Sache eine Leichtigkeit und damit einen Spielraum für Gedanken. Wenn etwas zu verbohrt oder verbissen ist, gibt es diesen Spielraum für neue Gedanken nicht.

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