Joanna Arnow über ihre Doku „I hate myself :)“
"Ich setze mir keine Grenzen"
Du hattest Sex während die Kamera lief. Hattest Du eine Grenze, bei der Du nicht gefilmt hättest?
Wenn jemand mich bitten würde, nicht zu filmen, dann würde ich die Kamera stoppen. Ich setze mir keine Grenzen. Wenn ich mich unwohl gefühlt habe oder ein Risiko beim Filmen eingegangen bin, dann hat das oft bedeutet, dass es interessantes Material war. Ich wollte außerdem meine Möglichkeiten beim Schnitt nicht einschränken.
Welche Situationen waren für Dich am unangenehmsten?
Immer dann, wenn ich über das Fehlen von meinen sexuellen und romantischen Erfahrungen gesprochen habe. Da es aber unangenehm war, wusste ich, dass das ein Thema war, an dem ich weiter arbeiten musste.
Der Film ist über James Kepple, aber er zeigt viel über Dich und Deine Beziehung zu Dir selbst. Inwiefern hat Dich der Film in Deiner persönlichen Entwicklung beeinflusst?
Während der Dreharbeiten wurde ich ehrlicher zu mir selbst, was Aspekte meiner Identität angeht, die ich vorher beschämend fand. Als ich dann offener über diese Seiten von mir wurde, habe ich erkannt, dass sie eigentlich kein großes Ding waren und zudem auch noch lustig sind. Ich habe den Film „I hate myself : )“ genannt, weil er diese Richtung am besten reflektiert.
Wie schwer war es Kepple zu überreden, den Film zu veröffentlichen? Er steht im Film nicht gerade im besten Licht.
Gleich zu Anfang der Produktion hat er eine Einverständniserklärung unterschrieben, das war also kein Problem. Und ich glaube, weil er selbst ein Dichter ist und ein besonderer Verfechter der freien Rede, ist er nicht der Typ, der die Werke anderer verhindert.
Du lässt die Zuschauer an Deinem Leben teilhaben und hast die Kamera in sehr persönlichen und unangenehmen Momenten dabei gehabt, z.B. als Du Deinen Eltern die Sex-Szenen gezeigt hast. Warum konfrontierst Du die Zuschauer mit solchen Szenen, wie dem “Versöhnungssex”, die ja meist privat bleiben?
Also für mich sind die schönsten Aspekte des Dokumentarfilms, dass sie sehr nah an anderen Personen sein können und man ein Gefühl dafür kriegen kann, wie ihr Leben ist. Ich gucke in Büchern und Filmen danach, ob ich Einblicke in das Innere der Menschen kriegen kann, zu denen ich normalerweise keinen Zugang habe. Normalerweise sind es die beschämenden Aspekte, die wir versteckt halten. Und das sind meiner Meinung nach die bedeutendsten Sachen, die man sehen sollte. Sie machen uns menschlich. Sex ist ein wichtiger Teil von Beziehungen und zeigt viel über sie. Es wäre nicht richtig gewesen, diesen Teil rauszulassen. Außerdem mag ich Sex-Szenen in Filmen. Wenn du mir über eine Doku ohne Sex-Szene und eine Doku mit Sex-Szene erzählen würdest, würde ich ohne zu Fragen zum Film mit dem Sex gehen. Als Filmemacherin hoffe ich herausfordernde und aufregende Sachen zu schaffen. Starke Gefühle, die oft durch Unbehaglichkeit entstehen. Ein Theaterlehrer hat mir mal gesagt, dass der Zuschauer sich entweder zum Geschehen nach vorne beugen oder sich in den Sitz drücken soll. Das ist eine Philosophie, der ich total zustimme. Meine Eltern haben die Szene aber nicht gesehen. Ich habe ihnen davor gesagt, dass eine Sex-Szene mit mir kommen würde und sie entschlossen sich, sie nicht zu gucken.
Die Frage, warum Du überhaupt in einer Beziehung mit Deinem Freund warst, taucht immer wieder im Film auf. Hast Du mittlerweile eine Antwort darauf?
Im Film spreche ich manche Gründe ja schon an, etwa warum ich ihn anziehend fand. Meine Antwort ist jetzt ziemlich dieselbe. Ich mochte es, dass er aus sich heraus kam, charismatisch und ein Künstler ist. Dinge, die ich gerne selbst mehr in mir gehabt hätte. Das waren auch die Knackpunkte in der Beziehung. Ich habe das Gefühl, dass das oft der Fall mit Beziehungen ist und hoffe, andere könnten sich darauf beziehen.
Die Fragen stellte Laura Varriale