Interview mit Berlinale-Panorama Leiter Wieland Speck

Eine Intuition, was du dem Publikum zumuten kannst



Welchen Filmen trauen Sie einen ähnlichen Schritt zu?
Calvary“ sollte Chancen haben. Aus Skandinavien der Film „Blind“ (von Eskil Vogt), in dem eine blinde Frau in einer Wohnung sitzt und in ihrer Imagination andere Dinge passieren lässt, als Menschen, die sehen. Das ist sehr inspirierend. Dazu die Beziehungsgeschichte „Arrete Ou Je Continue“ („If You Don`t, I Will„) von Sophie Fillieres, in dem Emmanuelle Devos und Mathieu Amalric spielen. Die Franzosen sind die großen Meister darin. Filmländer glänzen mit ihren Spezialitäten. Die Reise nach Paris ist immer meine letzte Reise und gleichzeitig die wichtigste. Der verdanken wir den Eröffnungsfilm „Yves Saint Laurent“ als Panorama-Special. Der Film über eine außergewöhnliche Schwulenkarriere in einer nicht-schwulen Welt, hat großen Spaß gemacht, mit seinen hervorragenden Schauspielern. Aus Griechenland kommt „Na Kathese Ke Na Kitas“ („Standing Aside, Watching„), der der neuen griechischen Welle zuzuordnen ist, genau wie „Stratos„, ein Film, den wir im Wettbewerb haben. Die Griechen sind in den letzten Jahren ein aufregendes Filmland geworden, sperrig und eigen. Italien hat mal mit seinen Filmen die Welt regiert, war nun aber lange sehr abwesend, genau wie Deutschland lange sehr abwesend in der Filmwelt war. Auch Spanien, das bei uns immer ein wichtiges Standbein war, ist relativ schwach. So geht es mit der Kreativität in den Ländern rauf und runter.

In Indien scheint die Filmbranche in Aufruhr. Entsteht dort ein Kino abseits der Bollywood-Film-Fabriken?
Genau. Davon haben wir zwei Filme im Programm und hatten auch in den letzten Jahren immer wieder Filme im Programm, die teilweise mit Bollywood-Stars ganz andere Geschichten erzählt haben. Mit einer Frau in der Hauptrolle, was im Bollywood-Kino nicht vorgesehen ist. Auch China wird in diesem Jahr sehr stark sein. Das sind Länder, in denen das Geld sehr stark kontrolliert wird. In Russland, wo unheimlich viel Geld in die Filmindustrie gesteckt wurde, entstehen ganz furchtbare Filme, mit denen wir nix anfangen können. Das liegt nie an den Talenten. Die sind immer da. Wie das Geld verteilt wird, zeigen die Filme, die dabei herauskommen. Als Festival versuchst du dagegen zu steuern, in eine Richtung, die wir gut finden.

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Im Panorama-Programm findet sich zum Beispiel Benjamin Heisenbergs „Über-Ich und Du„. Wie steht es um den deutschen Film?
Die sind mit viel Knowhow, aber auch Erfindungsreichtum bei der Sache. Das zeigt sich bei „Stereo“ von Maximilian Erlenwein und auch bei Heisenbergs „Über-Ich und Du„. „Anderson“ ist ein toller Dokumentarfilm über die große schillernde Figur der DDR in Sachen Kunst und Künstlerleben, Sascha Anderson. Er war in Prenzlauer Berg eine Schlüsselfigur. Nachdem ihm viele Leute vertrauten, kam heraus, dass er ein sehr scharfer Stasi-Spitzel war. Das hat Leute wie Biermann in absolute Krisen gestürzt. Eine unglaubliche Geschichte.

Szene aus "Über-ich und Du" von Benjamin Heisenberg. (c) Komplizen Film

Szene aus „Über-ich und Du“ von Benjamin Heisenberg. (c) Komplizen Film

Ein Panorama-Film rückte unverhofft in Fokus…
Die schwule Fußballer-Geschichte „Viharsarok“ aus Ungarn. Ein ungarischer Fußballspieler spielt darin in Deutschland, hat aber die Schnauze voll von dem dortigen Drill und kehrt nach Ungarn zurück. Dort zieht er in ein leeres Haus. Irgendwann klauen ihm Dorfjungen das Moped. Er erwischt einen Dieb und der wird zu seinem Helfer. Während er versucht sich auf der Puzsta ein Leben einzurichten, ist er doch vom Leben in der Stadt und in Deutschland angefixt. Er hat Probleme sich mit den groben Umgangsformen auf dem Land zu Recht zu finden. Irgendwann entsteht eine Liebe zwischen den beiden jungen Männern, was die anderen Männer dort riechen. Es kommt zu Überfällen und allem, was man sich denken kann. Dann kommt ein Fußballspieler aus Deutschland zu Besuch, der auch schwul ist, von dem der Ungar aber – genau wie von Homosexualität – nix wissen wollte. Das brach sich erst in der Einsamkeit seine Bahn. Ein ganz romantischer, toll gespielter Film.

In der Wahrnehmung des Outings von Fußballer Hitzlsperger fällt der Kontrast zwischen dem Berliner Alltag und dem Rest der Republik auf…
Man fragt sich, wo sind wir eigentlich? Wie sehr die politische Gesellschaft doch damit beschäftigt ist, täglich zu zeigen, dass Schwule Menschen zweiter Klasse sind. Wie sehr die sich mit Händen und Füßen wehren, die Gleichstellung zuzulassen. Das ist enorm. Wir leben immer noch in einer, auch rechtlich, zweigeteilten Situation. Das ist unfassbar. Die wollen sich die Finger nicht schmutzig machen – und das zeigt die Hybris ihres Denkens.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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