Festivalbericht von der 10. Jubiläumsausgabe von achtung berlin

Wenn der Filmvorführer den Trailer erzählt



Abseits dieser lähmenden Selbstherrlichkeiten bestätigt sich bei achtung ein anderes Klischee: das der Kreativität. Einen heimlichen Höhepunkt des Festivals erleben die Besucher der über 100 Jahre alten Friedrichshainer Tilsiter Lichtspiele schon vor dem Screening von John Kolya Reicharts „Antons Fest„. Fast alle 66 Sitzplätze und auch einige Extra-Stühle sind in dem gemütlichen Programmkino, das erstmal beim Festival dabei ist, besetzt, als sich die junge Moderatorin dafür entschuldigt, dass sie vergaß, dem Filmvorführer ein Zeichen für den Festival-Trailer zu geben. Neben sie tritt der Mann, dem der Projektor gehorcht, vor die Leinwand und erzählt den kleinen Clip, in dem Festival-Wegbegleiter der letzten Jahre dem Machern gratulieren, kurzerhand gesten- und wortreich nach. Sein verblüfftes Publikum goutiert die improvisierte Performance mit Erstaunen und bald darauf großem Applaus.

Ein gelöster Saal ist bereit für Reicharts Debüt. In seinem Konzept-Film „Antons Fest“ prallen acht Menschen auf einem Gehöft auf dem Land aufeinander. Anton hat sie zu seinem Geburtstag zusammengebracht, taucht aber selbst nie bei seiner Feier auf. In der Charakter-Studie geht es um Konflikte, die sonst unter der imaginären Decke versteckt bleiben. Kaum aufeinander losgelassen, löst sich bald Schorf von den Wunden seiner Protagonisten, die bei dem einen tiefer und der anderen frischer sind. Ergebnis sind zwischenmenschlicher Wahnsinn und acht Menschen, denen sicher jeder Betrachter einen erhöhten Therapiebedarf zusprechen würde, aber zu denen mancher insgeheim Parallelen aus dem eigenen Leben und Umfeld entdeckt. Vieles von dem, was als Ergebnis auf der Leinwand zu sehen ist, hat der Regisseur mit den Schauspielern aus deren Figuren heraus am Set erarbeitet, wie die Besucher nach der Vorführung im Publikumsgespräch von der sympathischen Film-Crew um Reichart erfahren. Ein trotz mancher Ungereimtheit interessantes Debüt mit unverbrauchten Darstellern, das Lust auf das weitere Wirken des Debütanten macht.

Weiterlesen: Cosima Grohmanns Kritik „Big Brother auf dem Bauernhof“ zu „Antons Fest„.

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