Ken Loach im Interview zu „Jimmy’s Hall“

"Wir müssen zurückschlagen!"



Wie hat sich die Arbeiterklasse verändert?
Massiv! Die fertigende Industrie hat sich total verändert und die Service-Industrie funktioniert anders. Die meisten Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst oder in der Verwaltung. Das Leben der Menschen ist viel fragmentierter, weil sie unheimlich viel an Jobsicherheit eingebüßt haben. In Großbritannien haben wir so genannte „Zero Hour Contracts“, das sind Verträge, mit denen sich der Arbeiter verpflichtet, für den Arbeitgeber auf Abruf zu arbeiten. Gleichzeitig garantiert dir aber der Arbeitgeber nicht, dir Arbeit zu geben. Er kann also sagen, du arbeitest diese Woche nicht – und dann bekommst du auch kein Geld in der Woche. Gibt er dir in der Woche darauf zehn Arbeitsstunden, arbeitest du zehn Stunden. Die Woche drauf fragt er, ob du nicht jeden Abend kommst, dann musst du jeden Abend antanzen. Die ganze Macht liegt beim Arbeitgeber. Der Arbeiter ist das schwache Glied. Er kann weder sein Einkommen, noch seine Miete oder sonst was planen. Auch im Film-Business arbeiten viele Menschen mit solchen Verträgen. Dazu kommen Arbeits-Agenturen, die schlechtere Löhne zahlen und Einwanderer, die für die Hälfte des Lohns arbeiten, für den die einheimischen Arbeiter schuften.

Eine moderne Sklaverei…

Absolut. Diese Menschen werden nicht als arbeitslos gezählt, da sie ja eine Beschäftigung haben. Gleichzeitig steigt die Armut. Aktuelle Statistiken belegen, dass die Bosse 180-mal so viel verdienen, wie der Arbeiter im Durchschnitt – nicht im Vergleich zu den Ärmsten! Und die erzählen uns, das muss so sein. Wir müssen zurückschlagen!

Glauben Sie das wird passieren?
Es muss so kommen! Die Geschichte zeigt das. Der Unterschied ist, dass wir heute nebenbei den Planeten zerstören. Wir können so nicht weitermachen. Der Konsum muss sich verändern. Das andere Problem ist, dass das ökonomische System auf permanentem Wachstum beruht, was unmöglich ist. Wir haben nicht genug Material dafür. Mit der Weiterentwicklung der Produktionsmittel, werden dafür immer kleinere Arbeitseinheiten gebraucht. Wer soll die Produkte noch kaufen? Das steht im Widerspruch und muss zur Katastrophe führen.

Was dachten Sie, als 2011 die Unruhen in der Londoner und anderen Vorstädten ausbrachen?
Ich glaube, dass es sehr politisch war, ohne dass die wussten, dass sie politisch handeln. Es war eine Reaktion auf das Nicht-Tolerierbare. Menschen wurden für Jahre weggesperrt, weil sie Fernseher klauten. Diese Repression war maßlos.

Sie sagten kürzlich, „Jimmy’s Hall“ wäre Ihr letzter Film…
Ich weiß es nicht. Wenn ich morgens aufwache, denke ich, das war der letzte Film. Nach einigen Kaffees sieht das aber schon wieder anders aus. Dann will ich mich dem noch einmal stellen. So ein Spielfilm fordert dich. Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr morgens und das für sechs, sieben Wochen. Das ist easy, wenn du 40 bist, aber gar nicht so leicht, wenn du 70 bist und irgendwann 80 wirst.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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