Interview mit Regisseurin Ava DuVernay zu Oscar-Kandidat „Selma“

"Selma"-Regisseurin Ava DuVernay: "Ich hasse historische Dramen"


David Oyelowo als Dr. Martin Luther King. Foto: Atsushi Nishijima © Studiocanal

David Oyelowo als Dr. Martin Luther King. Foto: Atsushi Nishijima © Studiocanal


Worin lagen die Schwierigkeiten eine solche politische Bewegung darzustellen?
Wir mussten mit dem Film den Mythos Martin Luther King ein wenig dekonstruieren. Jeder weiß um seine Form des gewaltfreien Protests, seinen Traum und wie er starb. Da ist aber eben auch, wie er die Bürgerrechtsbewegung eigenhändig verändert hat. Er war einer der Führer neben anderen und wir zeigen, wie er nach innen agiert hat. Um den Marsch gab es in der Gruppe große Diskussionen und auch Vorbehalte, die gehört wurden. Es geht um den Prozess des Vorankommens. Es gibt immer wieder Prozesse und Veränderungen von Protest, in den USA, bei schwarzen und weißen Gruppen, überall. Die amerikanische Civil-Rights-Bewegung gab es 13 Jahre lang. Heute verstehen Leute Protest als einen Tweet, den sie mit einem Hashtag versehen. Das waren Leute, die sich ihrem Protest über Jahre verschrieben hatten. Die Gesellschaft hat sich verändert. Ohne diese Bewegung in den 60er Jahren, würden wir nicht gemeinsam in diesem Raum sitzen. Ich würde die Getränke bringen. Diese Veränderung vollzog sich in kleinen Schritten und dabei geht es auch um Strategien.

Sie zeigen in „Selma“ Gewalt explizit, aber sehr stilisiert. Etwa beim Bomben-Attentat, bei dem die vier Mädchen sterben…
Wir mussten uns nach den Altersfreigaben in den USA richten, weil wir nicht wollten, dass der Film nur Erwachsenen offen steht. Wir wollen aber nicht die physische Komponente in den Vorgrund rücken, sondern zeigen, wie sich Menschen verändern, wenn sie geschlagen werden. Wie die Hoffnung aus ihren Gesichtern verschwindet. Das ist uns wichtiger als Blut spritzen zu lassen. Im Film fließt kein Blut, sondern quält eher emotionale Gewalt. Da haben Menschen ihr Leben gelassen. Es geht darum, diesen Verlust zu zeigen.

Wie viel historische Forschung steckt im Film?
Jedes kleine Detail ist recherchiert – und doch ist „Selma“ auch meine Interpretation der Geschichte. Malcolm X kam nach Selma, die wurden tatsächlich von Edgar J. Hoover und dem FBI überwacht. Es gab wirklich diese SNCC-Studenten, die King nicht mochten und es gab wirklich diesen Prozess. Der Bloody Sunday hat stattgefunden und King hat sich auf der Brücke wirklich umgedreht und ist zurück gelaufen. Die Leute waren sauer auf ihn und er wusste nicht, wie er seinen Ascot bindet.

Wie war das mit Lyndon B. Johnson?
In den ersten zwanzig Jahren seiner Karriere hat er gegen all diese Zugeständnisse gestimmt, die er später möglich machte. Er war nicht immer der Typ, den alle liebten. Wir dekonstruieren unsere Helden. King war nicht perfekt. Seine Ehe war nicht perfekt. Er hatte ein großes Ego und er hat getötet. Er hat die Welt verändert. Lasst sie uns als große Männer betrachten, mit ihren Fehlern. Auch Frauen haben übrigens Fehler.

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