Interview mit Regisseurin Ava DuVernay zu Oscar-Kandidat „Selma“

"Selma"-Regisseurin Ava DuVernay: "Ich hasse historische Dramen"


Oprah Winfrey spielte in "Selma" Annie Lee Cooper. Die US-Entertainerin unterstützte das Projekt auf vielen Ebenen. Foto:  Atsushi Nishijima © Studiocanal

Oprah Winfrey spielte in „Selma“ Annie Lee Cooper. Die US-Entertainerin unterstützte das Projekt auf vielen Ebenen. Foto:
Atsushi Nishijima © Studiocanal


Sie waren die erste schwarze Regisseurin, die für einen Golden Globe nominiert war. Für den Oscar wurden Sie überraschend nicht nominiert. Gibt es Rassismus in der Branche?
Selma“ war der einzige Film mit schwarzen Darstellern, der überhaupt im Rennen war. Das ist das größte Problem. Es gab hunderte Filme im letzten Jahr und das ist der einzige, über den wir überhaupt diskutieren. Der Grund dafür ist, dass eine kleine Gruppe glaubt, für die Welt entscheiden zu können, was Exzellenz im Film ist. Diese kleine Gruppe ist zu 90 Prozent weiß, zu 92 Prozent männlich und zu 70 Prozent alt. Nichts gegen alte, weiße Männer, aber es gibt auch andere Menschen auf der Welt. Ich kenne ältere, weiße Männer, die nicht denken das Zentrum des Universums zu sein. Die teilen die Welt mit anderen. Wenn du das nicht tust, schätzt du auch keine anderen Geschichten.

Also eine Art Mainstreaming?
Wenn du andere Geschichten wertschätzt, bedeutet das auch, dass du braune, schwarze und weiße Menschen nicht nur so siehst, wie du denkst, dass sie sich verhalten sollten. Vielleicht passt da das Bild aus „12 Years a slave“ besser zu dem dieser Menschen, als ein schwarzer Führer, der für Gerechtigkeit gekämpft hat. Eine winzige Gruppe entscheidet im Film darüber, was exzellent sein soll. Solange diese Dominanz nicht aufgebrochen und eine höhere Diversität hergestellt wird, kann das kein wahrhaftes Urteil sein.

In der Industrie haben es Frauen sehr schwer, sobald es um größere Budgets geht. Kathryn Bigelow und Sie sind da Ausnahmen. Woher kommt das?
Da geht es darum, wer das Geld kontrolliert. Wie gerade schon beschrieben, sind das alte, weiße Männer, die ihr Geld lieber jemand geben, der wie sie aussieht. Ich bin genauso. Wir alle sind so. Die Academy ist so bei den Oscars, die Industrie ist so. Wir müssen aus unserer Komfortzone raus und verstehen, dass sich Geld verdienen lässt, wenn man diese Komfortzone verlässt. In diesen Nischen lässt sich Geld verdienen. Man verharrt bei seinen Gewohnheiten.

Das klingt etwas frustriert, aber der Film feiert auch Erfolge, oder?
Das wundervolle an diesem Film sind die Reaktionen, die wir ernten. Bei unserer Deutschland-Premiere bei der Berlinale klatschten 1.500 Leute den ganzen Abspann durch und warfen Blumen auf die Bühne. David wurde in Nigeria von hunderten bejubelt. Das ist unser Preis – und nicht dieser goldene Glatzkopf, der von den alten, weißen Männern vergeben wird.

Sie sind sicher jetzt ein Vorbild für viele, oder?
Vorbild, ich weiß nicht. Oprah Winfrey ist sicher ein Vorbild, in der wundervollen Art, wie sie mit Menschen umgeht. Die Frau ist Milliardärin, aber wenn sie dir in die Augen sieht, fühlst du dich verstanden. Sie half mir sehr mit dem Film. Ich hatte Zweifel, ob meine Idee überleben wird und sie kümmerte sich darum, dass ich das letzte Wort im Schnitt behalte. Sie setzte sich sogar für Dinge ein, in denen wir nicht einer Meinung waren. Eine wirklich außergewöhnliche Person. Die andere ist Kathryn Bigelow. Sie hat ihre eigenen Pfade geschaffen. Sie hat sicher andere politische Ideen als ich, aber die Art wie sie arbeitet und die Stimme, mit der sie durch ihre Filme zu den Menschen spricht, ist einzigartig.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

1 2 3 4