Zurückgespult #19: Zeitenwende 2015 – Woody Allen dreht Serien und Videotheken schließen

Gebt den Filmfreaks ein Zuhause


Der Umstand, dass die Serie "Better Call Saul" im Berlinale Special läuft, darf als Symptom einer Zeitenwende interpretiert werden. © SONY MEDIA CLOUD SERVICES

Der Umstand, dass die Serie „Better Call Saul“ im Berlinale Special läuft, darf als Symptom einer Zeitenwende interpretiert werden. © SONY MEDIA CLOUD SERVICES

Aber nicht nur der Videothekar und sein Stammkunde haben es schwer in der sich unaufhaltsam verändernden Filmbranche. Auch weltberühmte Autorenfilmer, die per definitionem als Filmfreaks bezeichnet werden dürften, müssen neue Wege gehen. Woody Allen zum Beispiel, der seine Filmplots ebenfalls alle auf Zettelchen schreibt und in einer Box aufbewahrt. Als neues Flagschiff für Amazons Streaming-Dienst Prime dreht der 79-Jährige demnächst seine erste Serie. Inhalt? „Keine Ahnung“, sagt der Regisseur dem Spiegel. „Ich weiß nicht, wie ich hier hinein geraten bin. Ich habe keine Ideen, und ich bin nicht sicher, wo ich anfangen soll.“

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Anders als Allen, zu dessen Desorientierung sich eine gehörige Portion Koketterie gesellen dürfte, muss für die ausrangierten Videothekare erst noch ein Platz in der digitalen Filmwelt des 21. Jahrhunderts gefunden werden. Vielleicht sollte man Dieter Kosslick fragen. Immerhin holt der die ersten beiden Folgen des Breaking Bad Spin-offs „Better call Saul“ in die Sektion Berlinale Special Series. Oder besser gleich Saul Goodman persönlich? Wenn der korrupte Anwalt aus „Breaking Bad“ dem dortigen Protagonisten Walter White eine neue Identität verschaffen konnte, dürfte es doch ein Leichtes sein, unseren vom Aussterben bedrohten Videothekaren ein „Makeover“ zu geben, wie man in der Medienwelt sagt.

Und nun mal Spaß beseite: Wen frage ich in Zukunft, wenn ich beispielsweise wissen will, von welchem Designer die Trainingsanzüge in Wes Andersons „The Royal Tenenbaums“ (2001) sind? Der erste Kunden-Kommentar auf Amazon.de zu diesem Film lautet treffenderweise wie folgt: „In der Videothek meines Vertrauens findet man Wes Andersons Filme unter der Kategorie „New Sincerity“, (Vgl.“Neue Aufrichtigkeit“) vereint. Ziemlich treffend wie ich finde, wo dieses Genre doch das Abwenden vom zynisch-ironischen Grundton vieler Film- und Fernsehproduktionen der vergangenen Jahre kennzeichnet und mit neuem Elan und Enthusiasmus zu Werke geht.“ Sag ich doch: Filmfreaks, eine ehrliche, vom Aussterben bedrohte Rasse, deren einstiger Treffpunkt einst die „Videothek des Vertrauens“ war.

Cosima M. Grohmann

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