Interview mit Regisseur Oliver Hirschbiegel zu „Elser“

Hirschbiegel: Snowden ist eins zu eins Elser



Sind Sie in der eigenen Familie auf Spurensuche gegangen?
Da weiß ich vieles. Meine Mutter war – wie die meisten damals – Mitglied bei dem Bund Deutscher Mädel. Sie marschierte beim Fähnlein Fieselschweif mit und sang „Schwarzbraun ist die Haselnuss“. Das haben die so gemacht und das haben die Nazis genutzt. Die Jugend, die gerne mit Freunden etwas macht, das Pfadfinder-Konzept… Sie hat das geliebt. Sie hatte keine schöne Kindheit Zuhause und geliebt, wenn sie raus durfte. Weg von den Bomben, hat sie auf dem Land aufgeatmet. Wie verzweifelt die waren, als die Amis kamen und zwar Kaugummis und Schokolade verteilt haben, aber eben auch in die Aufenthaltsräume der Kloster gingen und dort die Hitler-Bilder entfernten und am Zaun zerschlugen. Die haben geheult, waren verzweifelt, das war deren Gott. Wie Michael Jackson. Er war der absolute Popstar – schwer zu glauben, bei der Fresse.

Wäre eine solche Verführung heute möglich?
In Deutschland auf keinen Fall. Da sind wir radikal. So radikal der Holocaust war, so radikal haben wir unsere Schuld aufgearbeitet. Wir hatten keine Wahl. Das war das ultimative Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Diese Aufarbeitung sollte ein Beispiel für andere Nationen sein, die auch Schuld auf sich genommen haben, mal vor ihrer Haustür vernünftig Reine zu machen. Dreck am Stecken haben alle.

Interessant am Film und der Figur Elser, wie Sie sie uns vorstellen, ist seine Wandlung. Sie lassen ihn sagen: „Gewalt hat noch nie was gebracht!“ Den Satz sagt er aus voller Überzeugung. Gleichzeitig ist er der, der eine Bombe baut und unschuldige Opfer in Kauf nimmt. Was hat ihn dazu bewogen?
Er rückt nie von der Überzeugung ab, dass Gewalt nie etwas gebracht hat. Er ist gläubig, Pietist, ein Hardcore-Protestant. Er kennt den Tyrannenmord aus der Bibel, der von der Kirche gut geheißen wird. Es gibt da eine göttliche Pflicht, einem Tyrannen, der sein Volk knechtet und ausnutzt, das Leben zu nehmen. Das heißt nicht, dass er damit keinen Konflikt hätte. Er weiß, was diese mächtige Bombe anrichten wird und beschäftigt sich jeden Tag mit dem Gedanken, dass er Menschenleben auslöschen wird. Ob schuldig oder nicht, ist da erstmal nicht so relevant. Er hat die Überzeugung, ich habe nicht das Recht das zu tun, aber es besteht die Notwendigkeit. Ich, als Mensch an sich, habe nicht das Recht anderen Menschen das Leben zu nehmen. Das findet sich in Verhörprotokollen und das bedrückte ihn ein Leben lang, bis zum Schluss.

Die andere Seite, die Sie im Film beschreiben, lässt ein Bild vom Menschen Elser entstehen…
Der war ein Stenz. Wenn ich mir die Fotos von ihm ansehe, wie sein Einstecktuch sitzt… oder die Beschreibungen der Mädels, die es gibt. Wie er wirkte, was er für ein höflicher und schöner Mann er war. Dass er nie laut wurde, sehr schöne Finger hatte. Musiker sind sowieso eine spezielle Gattung, die sind ein anderer Menschenschlag.

In „Elser“ gibt es eine wunderbare Szene, in der Elser mit einer Frau flirtet, um kurz darauf mit der nächsten zu verschwinden. Ein Sittengemälde…
Die waren, wie wir drauf sind. Die haben coole Musik gehört, hingen zusammen ab und wollten Spaß haben. Die hatten wie die Jugend von heute einen Ozean an Zeit vor sich.

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