FilmFestival Cottbus 2015: Interview mit Programmdirektor Bernd Buder

25. FilmFestival Cottbus: Hinter Klischees blicken


Jahresmotiv 1_FilmFestival CottbusBei der Festival-Pressekonferenz haben Sie formuliert, dass sich das FilmFestival Cottbus fragt: „Wie bewegen sich Filmemacher in den ehemaligen sozialistischen Ländern?“ – Wie würden Sie die Frage beantworten?
In den meisten osteuropäischen Ländern gehört eine unglaublich große unternehmerische Risikobereitschaft dazu, Filme zu machen. In vielen politischer Mut: die willkürliche Verurteilung des ukrainischen Regisseurs Oleg Sentsov zu 20jähriger Haft wegen der angeblichen Planung eines terroristischen Aktes durch ein russisches Gericht hat gezeigt, dass es nötig ist, sich zu bewegen, dass der, der sich bewegt, sich dadurch aber vielerorts in Gefahr begibt. Insofern ist der Mut vieler Filmemacher zu bewundern, weiterhin die „heißen Eisen“ in ihren Gesellschaften anzufassen, und das in der Regel ohne erhobenen Zeigefinger, sehr persönlich und sehr diskursfreudig. Dafür gebührt diesen Filmemachern Unterstützung.

Die Voraussetzungen in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich, was Filmhistorie, Fördermöglichkeiten usw angeht. Welche Länder entwickeln sich sehr positiv und um welche sollte man sich sorgen?
Polen hat sich in den letzten Jahren bestens entwickelt, mit dem „Auslandsoscar“-Gewinner „Ida„, einem großen nationalen Markt, einer transparenten zentralen und vielen regionalen Filmförderungen. Die kroatische Filmförderung kann jetzt die Früchte einer Jahre langen, fokussierten Förderarbeit ernten: gute Filme, die auf internationalen Filmfestivals ankommen, und Aufträge wie der Dreh von „Game of Thrones“ oder dem Remake von „Winnetou„, die die Filmindustrie zu einem Wirtschaftszweig machen.
Während alle EU-Mitglieder stabil da stehen, wackeln allerdings die Finanzierungen aus finanziellen Gründen wie in Serbien und der Ukraine oder aus politischen Motiven wie in Russland, wo es für kritische Filmemacher zunehmend schwierig wird, Geld für ihre Projekte zu bekommen.
Außerhalb der EU ist Mazedonien als positives Beispiel zu nehmen: durch geschickte Abgabenpolitik aus den Bereichen Telekommunikation, Lotterie und private Medien stehen vergleichsweise viel Fördermittel zur Verfügung, mit denen das international bisher wenig bekannte Filmland gezielt neue Talente fördert. Mir gefällt auch, wie die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn Kosovo und zwischen slawisch- und albanischstämmigen Mazedoniern gefördert wird – in der Politik kommt es hier ja immer wieder zu Konflikten.

Wieso findet osteuropäisches Kino so selten den Weg in die regulären Kinos?
Es gibt noch immer das Vorurteil, dass osteuropäische Filme ausschließlich depressiv und düster sind. Diese Klischees werden von den Nachrichten derzeit ja durchaus befeuert. Leider gibt es nur wenig Neugier beim Publikum, hinter diese Klischees zu blicken, und nur wenig Bereitschaft einiger mutiger Verleiher und VoD-Anbieter, osteuropäische Filme auf den Markt zu bringen. Ein Teufelskreis, denn wenn man die Zuschauer in die Lage versetzen würde, die ganze Bandbreite des osteuropäischen Kinos und nicht nur den düsteren Ausschnitt wahrzunehmen, wäre die Neugier sicher größer.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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