BFF on the Road: 58. Nordische Filmtage Lübeck

Immersion, Isolation, Integration



Schließlich gab sich das Festival in diesem Jahr auch überaus visionär und spielte mit neuen Möglichkeiten zukünftiger Erzählformen. So war es den Besuchern beispielsweise möglich, sich Filme in der 360 Grad Perspektive anzuschauen und so noch weiter in unbekannte Welten vorzudringen und etwa an einen der nördlichsten Orte der Welt, nach Kilpisjärvi in Lappland zu reisen, um Nordlichter zu beobachten. Dafür wurde ein planetariumähnliches Kino mit Liegestühlen genutzt, in dem die Filme mit speziellen Projektoren auf die Kuppel projeziert wurden. Leider stellte sich diese Art der Projektion aber schnell nur als halbes Vergnügen heraus, da nur die Kuppel als Leinwand für die 360 Grad Filme diente. Sobald Neugierige aber einmal die Virtual Reality Brillen im Foyer des Kinos ausprobiert hatten, die einen echten und unverzerrten Rundumblick in unterschiedlichste Landschaften erlaubten und den Zuschauer seinen Kamera-Blickwinkel selbst auswählen ließen, waren die meisten nicht nur fasziniert, sondern begannen auch über zukünftige Kino- und Filmformate zu spekulieren.
Last but not least lud auch die Kooperation zwischen den Filmtagen, der Volksbühne Lübeck und dem Team von Cinematic Soundscapes um den Filmkomponisten Joachim Holbek zur völlig neuen „Film“-Erfahrung ein. Eine einstündige Nachtbustour mit Tonspur führte einen ganzen Bus voll Festivalbesucher in ein dunkles Niemandsland, am Rande Lübecks, wo in der Abgeschiedenheit und im fehlenden Straßenlicht der Laternen nur schummrige Umrisse eines abgelegenen Hafens erkennbar wurden und sich die Nacht wie in einem skandinavischen Krimi vor einem ausbreitete. Hierhin hatten sich Trucker mit ihren Lastern zurückgezogen, um sich im Mondlicht auf offenem Feuer hinter nicht näher definierbaren Baracken noch schnell etwas zu grillen oder zu kochen. Schwarze Schatten standen in der dunklen Nacht und über ihnen stieg fast wie gemalt Rauch auf. Mit der Stimme und den Audiobildern auf den Ohren formte sich das unbekannte Nirgendwo in eine diffuse Erzählung, wurde zur ganz persönlichen filmischen Welt und machte die Stadt zum Film.

Das Bemühen der Nordischen Filmtage, den Zuschauer in jeglicher Hinsicht zu involvieren, ihn eintauchen zu lassen in andere Welten und Kino, Film und Festival als Sprachrohr und Vermittler zu nutzten, und das Fiktive mit dem Realen zu verbinden, gelang den Festivalmachern auch in diesem Jahr wieder einzigartig. Ob die Crisis Cuisine, die als Pop-Up-Kantine und Begegnungscafé fremde und deutsche Speisen- und Kulturtradition verbindet und die Wahrnehmung auch außerhalb der Dokumentationen für die Gegenwart schult, oder die Aus- und Einblicke, die sich in den Filmen, den Geschichten, den Gemütern ausdrückten. Die Nordischen Filmtage lenken den Blick, laden ein hinzugucken und zu reflektieren und schaffen Begegnungen. Damit erfüllt das Festival eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst, den Geist zu öffnen.

SuT

Festival-Gewinner:

NDR-Filmpreis: „Herzstein“ (hier unsere Filmkritik) von Gudmundur Arnar Gudmundsson (Island)
Publikumspreis: „Der Tag wird kommen“ von Jesper W. Nielsen (Dänemark)
Baltischer Filmpreis: „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ von Juho Kuosmanen (Finnland)
Dokumentarfilmpreis: „Die Überfahrt“ („Flukten„) von George Kurian (Norwegen)

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