Regisseurin Valeska Grisebach zu „Western“

Grisebach: "Meine Authentizität ist erarbeitet"


Valeska Grisebach am Set von "Western". © Komplizen Film

Valeska Grisebach am Set von „Western“. © Komplizen Film

Ihre deutschen Männer tragen ein Gefühl der Stärke, der Überlegenheit vor sich her. Woher beziehen die dieses Selbstbewusstsein?
Das Selbstbewusstsein hat etwas Ambivalentes. Das hat auch mit Unsicherheit zu tun, aber das würde ich nicht nur den deutschen Männern zuschreiben. Ich habe eben als Deutsche den Film gemacht. Es gibt unterschiedliche Perspektiven in Europa und unterschiedliche Länder. Intuitiv bringen wir Deutschen unbewusst ein Statusgefühl mit. Wir reisen mit einem Gefühl für das Kräfteverhältnis in Europa an, mit dem Wissen, dass es uns gut geht. Ebenso wie mit einem Gefühl für unsere Geschichte. Das hat jeder unausgesprochen verinnerlicht. Wir, aber auch die Leute in Bulgarien. Für den Film war interessant, was mitschwingt, wenn die Deutschen mit ihren großen Maschinen und ihrem Knowhow ankommen. Das ist nur ein Moment, denn die sind da selbst fremd. Da ist auch Neugierde und Sehnsucht, dass da was Aufregendes passiert. Gleichzeitig ist da eine Verunsicherung und Angst. Schleicht da jemand im Gebüsch um die Baustelle herum? Das sind verunsichernde Momente. Sie treten damit auf sehr eigenartige Weise in Kontakt, indem sie eine Deutschlandfahne aufhängen. Darin besteht die Ambivalenz. Wie nah möchte ich jemanden kommen – oder auch nicht.

Wir leben in einer Zeit, in der sich Europa sucht und hoffentlich findet. Wie beurteilen Sie die europäische Idee?
Mich berührt die europäische Idee sehr, auch und gerade nach dem zweiten Weltkrieg. Die Idee, diesen Nationalismus und die zugehörige Abgrenzung zu überwinden. Das man versucht, für einen gemeinsamen Gedanken einzutreten. Aber das ist ein ständiger Findungsprozess. Das merkt man, wenn man in Bulgarien ist. Dort ist ein vollkommen anderes Europa als das, was wir meinen, wenn wir darüber sprechen. Ich empfinde das als bedrohlich, wie diese Idee von Europa angegangen wird und die Tendenz immer mehr in Richtung Abgrenzung geht. Ich hoffe, es findet sich eine Antwort auf die Frage, was Europa sein kann. Das kann ein Prozess und muss keine endgültige Antwort sein.
Dieser Film tritt in diesem Kontext sicher für Mut und den Kontakt untereinander ein.

Das Extrembeispiel der Abgrenzung ist England…
Mich hat diese Entwicklung total überrumpelt. Plötzlich war da die Gefahr, dass sich das alles auflösen kann. Dieser Nationalismus und die Angst waren scheinbar präsenter als wir das immer dachten.

Gab es Momente wie im Film, in denen Ihr deutsches Team diesen bulgarischen Raum, das Dorf Petrelik, eroberte?
Ich versuchte eine Partnerschaft zu gestalten und habe reflektiert, wie wir uns da als Filmteam bewegen. Da gab es sicher auch Fettnäpfchen und Missverständnisse. Das war auch inspirierend für den Film. In Bulgarien wird man als Deutsche auch überhöht, aber in jeder Überhöhung liegt auch eine Form von Aggression. Jeder in Bulgarien hat jemanden in der Familie, der im Ausland lebt. Das Ausland ist dort total präsent. Da ist immer jemand in Deutschland, England oder den USA. Die junge Generation geht weg und kommt oft nicht wieder – oder die Weggegangenen ernähren die Familie.

Diese sich inspirierenden Momente des Missverstandenseins erzeugen Authentizität. Wie wichtig ist die für Ihre Arbeiten?
Die Authentizität ist in meinen Filmen häufig etwas künstlich Hergestelltes. Mich interessiert sehr der Kontakt zwischen etwas naturalistisch-realistisch aussehendem und einer Überhöhung, einem künstlich-epischen Moment. Meine Authentizität ist erarbeitet, also künstlich. Mich macht eher nervös, wenn etwas perfekt vorbereitet ist. Es gibt immer eine Wirklichkeit, die nicht zu kontrollieren ist. Das ist ein unheimlich kreativer Moment. In einem fremden Land mit einer fremden Sprache habe ich da sehr positiv einen Kontrollverlust erlebt. Wir haben alle gemeinsam diesen Film zu Ende gebracht.

Ein weiterer Faktor für Authentizität ist die Arbeit mit Laiendarstellern. Wie begeistern Sie die für Ihre Arbeitsweise?
Leute sind neugierig aufs Spielen. Ich spreche sie auf der Straße an. Hier habe ich denen gesagt, dass ich Schauspieler für einen Western suche. Wir tauschen Nummern und verabreden uns zu einem Gespräch über den Film und die Geschichte. Danach kommt alles Schritt für Schritt. Es gibt ein Casting, danach Proben, die Entscheidung, dass man das wirklich machen will. Die Schauspieler müssen wissen, dass das über drei Monate dauert und nicht in zwei Tagen erledigt ist.

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